Schlagwort: Storytelling

Gut ausgebildete Lügner

Was denken Sie über jemanden, der sich selbst als „Storyteller“ bezeichnet? Viele Journalist:innen glauben, dass sie mit diesem Etikett besonders realitätsnah wirken. Eine neue Studie zeigt, wie es wirklich ist …

Von Hannah Molderings

Journalist:innen, die sich in ihren Profilen als „Storyteller“ beschreiben, werden als unglaubwürdig oder sogar voreingenommen eingeschätzt. Vermutlich also genau das Gegenteil von dem, was sie sich erhoffen. Eigentlich wollen sie mit diesem Begriff deutlich machen, wie nah an der Realität sie ihre Themen aufbereiten, glaubt Brian Calfano, einer der drei Autoren der US-amerikanischen Befragung über 2.000 Erwachsener.

Und so lief die Befragung genau ab: Die Proband:innen wurden in zwei Gruppen geteilt. Beiden Gruppen wurde der identische Zeitungsartikel gezeigt. Die Proband:innen aus der einen Gruppe erhielten aber eine zusätzliche Info über den Autor des Artikels: die Profilbeschreibung aus seinem LinkedIn-Profil. Dort bezeichnete er sich selbst als „Storyteller“. Die Ergebnisse waren eindeutig: Diese Gruppe bewertete den Artikel signifikant häufiger als unglaubwürdig, sensationsgierig oder schlecht recherchiert.

Bei der offenen Frage „Was kommt Ihnen in den Sinn, wenn Sie den Begriff ‚Storyteller‘ in der Biografie eines Journalisten sehen?“ wurde es dann fast schon persönlich: „Klingt für mich wie ein gut ausgebildeter Lügner“ oder „Ich habe das Gefühl, dass seine Geschichten erfunden sind“. Insgesamt enthielten von den 1.733 Antworten zwei Drittel solche negativen Beurteilungen. In nur 13 Prozent positiven Antworten hieß es dagegen, diese Journalist:innen „können eine Geschichte gut beschreiben“ oder „erzählt so gut, dass es einen hineinzieht“.

Das Niemanlab der Universität Harvard hat ausführlich über die Studie berichtet.

Die komplette Studie zum Nachlesen:
Bad Impressions: How Journalists as “Storytellers” Diminish Public Confidence in Media, Brian Calfano, Jeffrey Layne Blevins, Alexis Straka

Storys schreiben nach Rezept

Wie weckt man Emotionen beim Publikum? PR- und Marketing-Experten schwören seit 20 Jahren aufs Storytelling. Jetzt gibt es sogar ein Kochbuch für gute Business-Storys …

Von Stefan Brunn

Eine Geschichte zu erzählen statt sachlich zu beschreiben oder sich selbst zu rühmen: Das ist der Ansatz des Storytelling. In PR und Marketing raten Experten seit inzwischen 20 Jahren dazu. Der Grund: Die Leute hören lieber Geschichten, sie merken sie sich besser und man kann ihre Gefühle damit besser bewegen. Kein Wunder, dass sogar Discounter-Ketten wie Aldi, Lidl oder Penny jedes Jahr zu Weihnachten für teures Geld rührselige Filmchen produzieren lassen. Kaum jemand würde sich ja bei YouTube freiwillig Filme angucken, in denen Qualitäts- oder Preisunterschiede bei Backmatten oder LED-Kerzen vorgerechnet werden.

Aber wie funktioniert dieses Storytelling und wie macht man es selbst? Das erklärt der Schweizer PR-Texter Matthias Nold in einem neuen Buch namens „Die Storyküche: Das Rezeptbuch für gute Business-Storys“. Der Ansatz des Buches ist zugleich pragmatisch wie kreativ: Nold strukturiert sein Buch vom Einkauf der Zutaten über die Zubereitung und das Abschmecken bis zum Dessert. Auch das Auftischen der Storys gehört dazu.

Im Zentrum des Buches steht die Entwicklung der Plots. Nold referiert hier 10 Masterplots, die sich für Unternehmen eignen:

• die Suche
• die Verfolgung
• die Rettung
• die Rache
• das Rätsel
• die Rivalität
• der Außenseiter
• die Reifung
• die verbotene Liebe
• die Entdeckung

Der Autor schildert, wie man diese Plots ausarbeitet, welche Entwicklungen Geschichten gut machen und wie man sie sprachlich gut in Szene setzt. Wer eine strukturierte Einführung ins Storytelling braucht, findet sie hier.

Leider kommen zwei Dinge in dem Buch etwas kurz. Zum einen das kritische Hinterfragen des Storytelling. In Teilen der Gesellschaft hat sich längst ein gewisser Überdruss am Storytelling eingestellt: Bitte wieder Tatsachen und keine Geschichtchen! Manche bringen das Storytelling sogar in Zusammenhang mit journalistischen Lügengeschichten wie denen des Spiegel-Autors Claas Relotius.

Und das andere, was etwas zu kurz kommt: gute und schlechte Beispiele des Storytelling. Nold schreibt in seinem Blog zum Buch selbst, dass ihm in der PR zu viel schön getan und schöngeredet wird. Da wäre es nur konsequent gewesen, auch beim Storytelling einen kritisch-konkreten Blick auf die Praxis zu werfen.

Nolds „Storyküche“ ist übrigens sehr leicht verständlich geschrieben und auf eine besondere Art strukturiert: Man erhält am Ende jedes Abschnittes mehrere Optionen, wie man weiter durchs Buch navigieren kann: Vertiefen? Springen? Ausprobieren? Das wäre beim Backen übrigens deutlich problematischer als in einem Buch! 

Matthias Nold: Die Storyküche: Das Rezeptbuch für gute Business-Storys. Zürich: Midas-Verlag, 2021. 224 Seiten; 22 Euro.

Explizit und implizit: ein Unterschied wie Tag und Nacht!

MurxEs gibt Infos, die ausdrücklich genannt sind. Und es gibt Infos, die muss man mitdenken. Wir zeigen das Problem an einem einzigen (besonders blöden) Schild …

Beantworten Sie bitte folgende Frage: An welchen Nachmittagen ist die Praxis geschlossen?

Dienstagnachmittag? Richtig, das steht da jedenfalls. Aber was ist mittwochs? Und was ist freitags?

Das steht da auch, nämlich in Zeile 2: Da ist auch geschlossen. Es steht allerdings nicht explizit da, sondern implizit, und das ist ein Unterschied wie Tag und Nacht!

Wenn wir kein Rätselspiel wollen, sondern gelingende Kommunikation, dann sagen wir am besten alles explizit und gut aufgeräumt. Implizite Informationen funktionieren sehr oft nicht. Sie sind vor allem dann angeraten, wenn man möchte, dass etwas übersehen wird. Zum Beispiel, dass man an drei von fünf Werktagen nur vormittags öffnet …

Stefan Brunn

Warum man manche Zitate einfach nicht glaubt!

MurxPolitik braucht mehr Glaubwürdigkeit. Deshalb wäre es schön, wenn wir Politiker:innen glauben könnten, wenn sie uns Zitate zur Veröffentlichung schicken. Vielen Zitaten sieht man aber an drei Kriterien sofort an, dass sie nie ausgesprochen wurden.  

An folgendem Ausschnitt aus einem Zitat eines MdB der SPD (Person und Partei sind uns aber egal, unglaubwürdige Zitate findet man allerorten) lassen sich die drei wichtigsten Kriterien der Unglaubwürdigkeit ganz gut zeigen:

„Auf wiederholten Druck der SPD legte der verantwortliche Bauminister Seehofer (CSU) im Juni 2020 einen Entwurf zur BauGB-Novelle vor, der diese Vereinbarung auch endlich umsetzt. Damit sollen, wie es auch in der Gesetzesbegründung heißt, Mieter*innen vor Verdrängung durch Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen geschützt werden. Nicht nur diese Einigung wurde nunmehr eigenständig vom Bauminister entfernt. Auch bei der enthaltenen Regelung zur Erleichterung der Anwendung von Baugeboten wird unser Koalitionspartner wortbrüchig.“

1. Kriterium: Niemand spricht mit Klammern. Anstatt „Bauminister Seehofer (CSU)“ hätte man wenigstens „Bauminister Seehofer von der CSU“ sagen können. Oder, noch besser, die beiden Infos in zwei Sätze packen.

2. Kriterium: Niemand spricht derart geschwollen – und wenn doch, dann sollte er es ändern. „Regelung der Erleichterung der Anwendung“ ist gemeißeltes Schriftdeutsch!

3. Kriterium: Das Präteritum ist im Mündlichen seit Jahrzehnten ausgestorben. Jeder normale Mensch sagt „Seehofer hat vorgelegt“ und nicht „Seehofer legte vor“. Wer das nicht glaubt, googelt mal „Präteritumschwund“.

Wir wissen natürlich auch, dass viele Zitate nicht von den MdB selbst stammen, sondern von ihrem Stab. Aber der sollte die Zitate wenigstens so schreiben, dass sie wirken wie gesprochen.

Und wo wir schon mal dabei sind: Ein solches Zitat ist viel zu lang, es müsste wenigstens mal unterbrochen werden. Außerdem sind auch die Sätze selbst zu lang. Die Einschübe müssten verschwinden. Und letztlich wäre es nicht schlecht, den Höhepunkt am Ende in einen ganz kurzen Satz zu kleiden, der hängen bleibt. Diesen hier kann sich vermutlich nicht mal der Abgeordnete selbst merken.

Stefan Brunn

Krass: DIESE typografische Marotte schreit uns an!

Mit einem kleinen typografischen Eingriff kann man viel bewegen. Das wissen inzwischen auch Online-Redaktionen – und wenden den Trick in jeder dritten Nachricht an.

 

SO hast Du sie noch nie gesehen!
HIER zeigt sie sich splitterfasernackt.
Plötzlich mischt SIE sich ein und tadelt den Moderator.

Der Trick liegt auf der Hand: Man lege die Betonung in ein kurzes Wort und schreibe es dann groß. Schon weiß das Publikum, wo es laut werden soll im Satz. Und genau das ist auch das Problem: Dauernde Schreierei nervt, zumal dann, wenn die Marotte so durchschaubar ist.

 

 

Im Satz einzelne Wörter komplett groß zu schreiben, ist selten notwendig. Es kann schon mal nützlich sein, wenn man zum Beispiel in Reintext-E-Mails keine andere Möglichkeit zur Hervorhebung hat. Dann hilft‘s schon mal, ein ODER oder ein NICHT groß zu schreiben, um etwas zu verdeutlichen.

Ansonsten sollte man wissen, dass der sogenannte Versalsatz das Lesetempo reduziert. Man sollte also weder unmotiviert mitten im Satz Wörter groß schreiben noch ganze Textzeilen. Außer natürlich, man will gar nicht schreiben, sondern SCHREIEN!

Stefan Brunn

Puthahn statt Putin, Aspir statt Aspirin!

MurxDoofheit oder Provokation? Man kann es fast nicht glauben, dass ein Mandatsträger seinen Protest gegen das Wort „Fahrspurende“ als vermeintlichen Gender-Begriff ernst meinte. Immerhin: Bei diesem Anlass können Befürworter und Gegner des Genderns endlich mal zusammen lachen.

Von Stefan Brunn

„Jetzt werden sogar Fahrspuren gegendert“, hatte der Berliner AfD-Politiker Gunther Lindemann kürzlich getwittert. Das Mitglied im Berliner Abgeordnetenhaus hielt das Wort „Fahrspurende“ fälschlicherweise für ein Partizip Präsens, das offenbar jemand gewählt hatte, um die männliche Form „Fahrspur“ zu gendern.

Lindemann löste damit, vermutlich unfreiwillig, viele weitere konstruierte Missverständnisse aus. Natürlich griffen auch Satire-Seiten wie der Postillon die Steilvorlage auf: Putin müsste nach dem Willen der AfD männlich benannt werden: Puthahn. An der Börse müssten neben der Dividende Divider und Dividin unterschieden werden. Und die Aspirin-Tablette sollte, so der Postillon, wie früher einfach und männlich als Aspir geschluckt werden. Am schönsten fanden wir aber folgenden grafischen Vorschlag, über den hoffentlich alle Seiten lachen können – ob man sich nun fürs Gendern einsetzt oder dagegen oder vielleicht sogar differenziert:

Als die Deutschen fast einmal ihre Sprache verstaatlicht hätten

MurxAnfang des vorigen Jahrhunderts hätte es fast einmal ein Reichssprachgesetz gegeben, der Gesetzentwurf war schon fertig. Mit Bußgeldern hätte die deutsche Sprache gegen Verstöße geschützt werden sollen. Man stelle sich vor: 25 Euro berappen für einen verbotenen Anglizismus oder ähnliches …

Von Stefan Brunn

Wem gehört die deutsche Sprache? Kleiner Tipp: Das deutsche Volk ist es nicht! Auch der deutsche Staat hat keine Eigentumsrechte daran. Richtig: Die deutsche Sprache ist ein freies Gut, über das jeder Einzelne frei verfügen kann, solange er die Freiheit der anderen nicht unerlaubt einschränkt.

Jedenfalls ist es so, dass Sie jederzeit ungestraft zu Ihrem Bett Bild sagen können und zu Ihrem Tisch Teppich. Sie dürfen Majonäse schreiben oder Maionnaise oder auch maJoNäs. Sie dürfen die Kommata setzen, wo Sie wollen, alles groß schreiben oder klein – und keiner kann Ihnen was, selbst wenn Sie einfach mitten im Satz koreanische Schriftzeichen einfügen. Die Sprache ist eben frei! Der Duden gibt bloß Tipps und hat vom Staat keine Ordnungsrechte verliehen bekommen oder ähnliches.

In Deutschland hat es nie eine staatliche Behörde zur Verwaltung und Kontrolle der deutschen Sprache gegeben. Auch kein Sprachgesetz. Allerdings wäre es 1913 fast einmal so weit gekommen. In einem kleinen Teil ihres Buches „Gegenwartsdeutsch“ haben die beiden Germanisten Helmut Glück und Wolfgang Werner Sauer sich vor vielen Jahren einmal der Sprachverwaltung des Deutschen angenommen. Damals habe ein Reichssprachamt eingerichtet werden sollen, „das die Sprache durch Verordnungen hätte pflegen und durch Bußgelder vor den Sprechern schützen sollen.“ Zu einer parlamentarischen Beschlussfassung sei es aber nie gekommen. Irgendwo zwischen belustigend und gruselig stellen sich die Germanisten diese Sprachpolizei vor – „ausgestattet mit einem Block Strafzettel für falsches Sprechen“.

Aber was hätte das eigentlich konkret bedeutet? Einige aus dieser Zeit erhaltene Dokumente geben einen Einblick in die Gedankenwelt derer, die das Reichssprachamt seinerzeit wollten. Etwa Heinrich Claß, militanter Rechtsaußen und Demokratiefeind:

„Unser gesamtes Leben soll deutschen Anstrich tragen; deshalb sorge ein Reichssprachamt, wie es der Alldeutsche Verband auf den Vorschlag von Geheimrat Dr. Trautmann längst empfohlen hat, für die Reinigung und Reinhaltung unserer Sprache – wir sehen es jetzt, wie im geschäftlichen Leben das Unwesen fremdsprachiger Bezeichnungen als unwürdig empfunden und bekämpft wird; es muss von Reichs wegen dafür gesorgt werden, dass dies anhält und weiter ausgeführt wird.“ Im gleichen Text fordert Claß übrigens auch, dass „kein Farbiger sich mehr auf deutschem Boden zeigen“ solle.

Einer seiner Geistesbrüder, ein gewisser Dr. Karl Schneider, kommt in einem Aufsatz mit dem Titel „Brauchen wir ein Reichssprachamt?“ zu der Erkenntnis: „Der viel erhobene Einwand, daß eine Regelung der deutschen Sprache deshalb unmöglich sei, weil in der Sprache die Freiheit herrsche, muss nach dieser Überlegung als abgetan gelten.“

Konkret wünschte sich Schneider, dass endlich mehr Ordnung in die verworrene deutsche Sprache komme. Ein Beispiel: das Geschlecht der Wörter. Wie unordentlich das sei im Deutschen! Die Erkenntnis, das Bekenntnis – fortan sollten alle Wörter, die auf -nis enden, weiblich sein. Umgekehrt sollte die Behörde festlegen, dass alle Wörter, die auf -tum enden, sächlich zu sein haben: Irrtum, Reichtum, Wachstum, Christentum. Komischerweise fiel ihm hier nicht das Wort Deutschtum ein.

Immerhin: Selbst Schneider & Co. wollten die Sprachaufsicht ausschließlich auf Behörden angewendet wissen. Der Privatmann hätte weiter reden und schreiben können, wie es ihm gefällt. Jedenfalls nach den damals veröffentlichten Entwürfen. Erich Ohser, Carl von Ossietzky oder Kurt Tucholsky würden nicht geglaubt haben, dass diese Freiheit lange bestanden hätte.

Spätestens nach der Rechtschreibreform 1998 darf aber wohl der Gedanke, dass eine gelenkte Regelung der deutschen Sprache besser gelingt als ihre freie Entwicklung, schon aus ganz praktischer Erfahrung als abgetan gelten. ☺