Kategorie: Allgemein

De Autor und de Buch und de gewollte Missverständnis

„Deutsch für alle“ von Abbas Khider ist ein Bestseller – und ein Aufreger. Dabei gibt’s zur Aufregung überhaupt keinen Anlass und schon gar nicht für Hassbekundungen. Khider stellt einfach auf lustige Weise dar, wie unpraktisch unsere Sprache eigentlich ist.

Von Stefan Brunn

Wer das Buch schon kennt oder viel darüber gelesen hat, möge jetzt gern zum Video springen und sich den Autor direkt anhören. Für alle anderen fassen wir noch mal kurz zusammen, worum es in „Deutsch für alle“ eigentlich geht:

Der Immigrant Abbas Khider, Schriftsteller von Beruf, hat ein Buch über die deutsche Sprache geschrieben. Genauer: von den Schwierigkeiten, diese Sprache zu erlernen und ihre Regeln anzuwenden. Außerdem schlägt er eine starke Vereinfachung dieser Regeln vor, zum Beispiel nur noch einen Artikel zu verwenden (nämlich „de“) und alle Verben regelmäßig zu konjugieren (schwimmt, schwimmte, geschwimmt).

Das Buch hat er zwar mit viel und unübersehbarer Ironie geschrieben (schon im Vorwort spricht er von „ernsthaftem sprachwissenschaftlichen Schwachsinn“). Aber das hat viele Leute nicht davon abgehalten, ihn trotzdem misszuverstehen, hässliche Dinge über ihn und sein Buch zu schreiben und ihm über die sozialen Netzwerke ihren Hass kundzutun. Gleichwohl ist das Buch ein Verkaufsschlager geworden – offenbar macht seine Perspektive aufs Deutsche einfach vielen Spaß. Außerdem ist es als Trostbuch für alle Deutschlernenden und deren Angehörige gedacht.

Abbas Khider wurde 1973 in Bagdad geboren. Mit 19 Jahren wurde er wegen politischer Aktivitäten verhaftet. Nach der Entlassung floh er 1996 aus dem Irak und hielt sich als Flüchtling in verschiedenen Ländern auf. Seit 2000 lebt er in Deutschland, derzeit in Berlin. Er hat Literatur und Philosophie in München und Potsdam studiert. Er hat mehrere Romane veröffentlicht und dafür verschiedene Auszeichnungen erhalten.

Abbas Khider: Deutsch für alle. Das endgültige Lehrbuch. Carl-Hanser-Verlag, 2019. 128 Seiten; 14,00 €. ISBN: 978-3-446-26170-9.

Im ARD-Forum auf der Leipziger Buchmesse stellte Abbas Khider in 24 Minuten sein ironisches Konzept zu „Deutsch für alle“ vor.

https://www.youtube.com/watch?v=SShB4cN7q1k&feature=emb_title

Herzlich Willkommen im Lebenswerten Drei Fehler Doof

Jedes noch so kleine Örtchen glaubt ja, einen eigenen Slogan haben zu müssen. Dumm nur, wenn man den nicht mal richtig schreiben kann. Wir zeigen drei Beispiele zum Seufzen oder Schmunzeln, je nachdem.

Einfach Lebenswert. So heißt es am Ortseingang der Gemeinde Kerken am Niederrhein. Und zwar mit großem L, denn offenbar wird das Lebenswerte hier wirklich IMMER großgeschrieben. Adjektive allerdings müssen im Deutschen klein geschrieben werden. Andernfalls sieht’s einfach provinziell aus, vor allem, wenn man „gemeinde“ auch noch klein schreibt …

Herzlich Willkommen in Nütterden, dem Sieben Quellen Dorf. Alle Achtung, sieben Quellen! Aber für zwei Bindestriche für die Wortkopplung hat’s nicht mehr gereicht, was? Das große W beim Willkommen ist auch falsch. Und wo wir schon mal am Nörgeln sind: Die führende Null bei alphanumerischen Datumsangaben ist nicht angesagt. Aber Schwamm drüber: Wer so ein tolles Foto aufs Ortseingangsschild setzt, der muss sich nicht auch noch um Zeichensetzung kümmern!

Quellen für’s Ich. Anders als Kerken und Nütterden hat Bad Aibling einen einmal gemachten Fehler korrigiert: den Apostroph weggelassen. Das „für’s“ wird natürlich nicht mit Apostroph geschrieben! Die Regel lautet: Präposition mit bestimmtem Artikel = kein Apostroph! Wer sich eine ganz einfache Daumenregel merken will: Man kann immer nur einen Buchstaben durch einen Apostroph ersetzen, nie zwei. Diese Regel ist aber sehr unzuverlässig, so dass wir die Quelle lieber geheim halten, die möchte auch lieber für s’ich bleiben. ☺

Regelmäßig liefern wir in unserem Newsletter ZEILEN|HACKER einen „Murx des Monats“ aus. Oft geht es um lustige Rechtschreibfehler, manchmal um Stilblüten oder auch um besonders dämliche Texte. Der Stoff dafür geht uns nie aus! Und ja: Wir wissen, dass man Murks nicht mit X schreibt!

E-Mails: Welche Zeichen kommen sicher an?

Mit den Begriffen „Ascii“ und „Unicode“ wissen die wenigsten Leute etwas anzufangen. Ohne dieses Wissen kann man aber nicht einschätzen, welche Zeichen beim Empfänger auch ankommen. Wir erklären die Codes in aller Kürze und mit Bildbeispielen.

Von Hannah Molderings

Wer beim Mail-Versand bestimmte Symbole und Sonderzeichen verwenden will, sollte sich vorher absichern. Denn nicht alle Zeichen kommen auch so beim Empfänger an, wie es der eigene Rechner anzeigt. Das liegt an den verwendeten Zeichensätzen, die von verschiedenen Endgeräten unterschiedlich interpretiert werden können. Die geläufigsten Standards für Sonderzeichen sind ASCII und Unicode:

ASCII-Code
Der ASCII-Code steht für American Standard Code for Information Interchange und ist einer der Standards zur Codierung von Zeichensätzen. Die ASCII-Tabelle bestand ursprünglich aus 128 Zeichen, mittlerweile sind es 256. Darin sind sowohl das Alphabet in Klein- und Großschreibung enthalten als auch die arabischen Ziffern und eine Vielzahl von Satzzeichen. Im hinteren Teil der Tabelle finden sich auch einige wenige Sonderzeichen. Sogar nicht-druckbare Zeichen, wie ein Zeilenvorschub oder ein Tabulator, erhalten hier eine eindeutige binäre Zuordnung. Diese binäre Zuordnung sorgt auch dafür, dass sich ASCII-Zeichen beim Versand sehr stabil verhalten und beim Empfänger genauso ankommen, wie der Absender sie selbst sieht.

Hier finden Sie eine Liste aller ASCII-Symbole.

Unicode
Unicode ist ebenfalls ein internationaler Zeichen-Standard. Langfristig soll hier jedes Schriftzeichen oder Textelement aller bekannten Schriftkulturen und Zeichensysteme einem festen Code zugeordnet werden. Gerade weil sich dieser Zeichensatz so stark weiterentwickelt, sind diese Zeichen aber oft nicht stabil über mehrere Endgeräte hinweg. Wer also einen Briefumschlag oder einen Telefonhörer in seiner Mail-Signatur unterbringen will, sollte sich vorher zumindest einmal ansehen, wie diese Zeichen auf anderen Geräten aussehen.

Hier finden Sie eine Liste aller Unicode-Symbole.

Wir haben einmal eine E-Mail produziert, die häufig verwendete Sonderzeichen enthält, und diese Zeichen dann auf diversen Endgeräten und Programmen überprüft. Und so sehen die diversen Unicode-Zeichen in Thunderbird, Gmail (Browser und App) und der Mail-App Bluemail aus (von links):

Die Ufer des Neckars sind anders als die des Orinoko!

Warum sagt eine Mehrheit im Genitiv „des Rheins“, aber nur eine Minderheit „des Mississipis“? Und ist das eigentlich falsch ohne Genitiv-s? Wir liefern Ihnen die Antworten auf einige Fragen zum Genitiv, die sich Ihnen bestimmt schon mal gestellt haben.

Von Stefan Brunn

Muss man das Genitiv-s immer setzen?
Darüber streiten sich die Gelehrten seit Ewigkeiten. Die einen meinen, man müsse dem Verschwinden des Genitivs etwas entgegensetzen, nämlich eine klare Norm. Die anderen halten solche Normen für aussichtslos und auch falsch: Die Sprache solle keine Obrigkeit haben, sie gehöre dem Volk. Klar ist aber, dass immer mehr Menschen in immer mehr Fällen aufs Genitiv-s verzichten.

Aber was sagt der Duden?
Der Duden verlangt das Genitiv-s. Eigentlich. Denn gleichzeitig stellt er es in vielen Fällen frei, das Genitiv-s zu verwenden. Dazu muss man wissen, dass der Duden eben keine amtlichen Vorgaben macht, sondern beschreibt, wie das Deutsche derzeit benutzt wird. Und da läuft der Trend mindestens seit Jahrzehnten gegen das Genitiv-s. In älteren Ausgaben forderte der Duden zum Beispiel noch das Genitiv-s bei den Wochentagen: „des Mittwochs“, jetzt ist er da entspannter.

In welchen Fällen wackelt das Genitiv-s?
Das sind inzwischen ganz schön viele Fälle, allen voran drei:
• Eigennamen und Titel (des Spiegels)
• Fremdwörter und technische Begriffe (des Leasings)
• Wörter mit einem Zischlaut am Ende (des Sozialismus‘)
Aber auch bei vielen anderen Wörtern kommt uns das Genitiv-s inzwischen ungebräuchlich vor. Kaum jemand sagt die Tages- oder Monatsnamen noch so: „am Abend des 4. Mais“. Und auch bei Kunst- und Stilepochen („des Biedermeiers“) oder geografischen Namen („des Kongos“) kommt uns eine Flexion heute eher fremd vor als eine Nullendung.

Woher kommt es, dass sich in einigen Bereichen mehr Nullendungen entwickeln?
Tja, wenn man das wüsste! Die Wissenschaftlerin Damaris Nübling, Professorin an der Uni Mainz, vertritt zum Beispiel die These, dass man auf das Genitiv-s eher verzichte, wenn das Wort ungeläufig sei. Die Sichtweise der SprecherInnen wäre demzufolge so: Wenn schon das Wort exotisch klingt, dann klingt es mit einem Genitiv-s total bescheuert bzw. falsch – also lasse ich es lieber weg! Die Professorin belegt diese These mit geografischen Begriffen. So sagt man durchaus „des Balkans“ (77 %), aber ungern „des Jemens“ (17 %). Ähnlich bei Flüssen: Beim Rhein liegt die Nullendung nur bei 0,06 %, beim Mississippi bei happigen 94 %. Ziemlich in der Mitte (Nullendung: 46 %) liegt übrigens Europa. Beispiel: „Die Macht eines mit einer Stimme sprechenden Europas“. Das Genitiv-s hatte in Nüblings Statistik beim Begriff „Europa“ noch knapp die Nase vorn. Die Zahlen sind aber von 2010, inzwischen kann die Mehrheit durchaus gekippt sein …

Warum ist auf einmal alles dunkel?

Das Wort „Dark“ ist in aller Munde: Neben dem Darknet gibt’s den Dark Mode, Dark Social und Dark Data, dazu Dark Martech und sogar Dark Tourism. Wir machen mal Licht im Dunkel-Dickicht!

Von Stefan Brunn

Dark Mode: Wohl der geläufigste und harmloseste der vielen Dark-Begriffe. Es geht um den dunklen Bildschirmmodus bei Smartphones, Tablets und dergleichen. Das heißt einfach nur, dass der Hintergrund dunkel ist und die Schrift hell. Man verspricht sich davon unter anderem einen geringeren Energieverbrauch und eine gesundheitliche Entlastung der Augen.

Darknet: Das Darknet ist ein versteckter Teil des Internets, den man nur mit besonderen Browsern betreten kann. Der Datenverkehr wird dabei verschlüsselt und über mehrere Rechner umgeleitet, so dass man die handelnden Akteure nicht nachverfolgen kann. Bekannt ist das Darknet vor allem durch Händler, die illegale Dinge vertreiben, oder Kriminelle, die sich hier austauschen. Aber das Darknet dient in manchen Ländern auch dazu, dass Dissidenten, Oppositionelle, Whistleblower oder Journalisten Informationen austauschen können.

Dark Social: Der Begriff klingt wie etwas, bei dem man vorsichtig sein sollte, dabei bezeichnet Dark Social einfach jene Formen von Social Media, die nicht öffentlich stattfinden. Das sind zum Beispiel SMS oder Whatsapp-Nachrichten zwischen zwei oder mehreren Nutzern. Oder jede geschlossene Kommunikation auf Facebook, Twitter, Instagram, über Messenger, Snapchat und so weiter. Also eigentlich über 80 Prozent der Internetkommunikation. Was soll daran dunkel sein? Nun, die Gesellschaft insgesamt hat keinen Blick darauf. Leute tauschen sich aus, ohne dass Medien, Politik oder Wirtschaft wüssten, was hier passiert. Das finden manche gerade gut. Andere befürchten, dass es zum Beispiel politisch-gesellschaftlich negative Folgen hat – zum Beispiel, wenn böswillige Kräfte mehr oder schnell und vor allem im Dunkeln Einfluss auf andere gewinnen.

Dark Data: Die Digitalisierung führt dazu, dass Firmen immer mehr Daten generieren. Ihre Datenberge wachsen rasant, und zwar auch um inhaltlichen Beifang – also Infos, deren Inhalt und Geschäftswert unbekannt sind. Nur ein Beispiel: Abwesenheitsnotizen, die per E-Mail eingehen. Diese eigentlich unbeabsichtigt gewonnenen Informationen nennt man Dark Data. Das können völlig belanglose Inhalte sein oder hochsensible Infos, die Unternehmen wissen es schlicht nicht. Vielleicht jedoch stecken darin wertvolle Informationen, die mit künftigen technischen Lösungen nutzbar gemacht werden können …

Dark Martech: Auch hier ist das Dunkle erst mal nichts Schlechtes: Es geht bloß um Marketing-Technologien, die Unternehmen selbst entwickeln. Das kann alles Mögliche sein, aber es ist keinesfalls transparent – zum Beispiel dann, wenn die Preisgestaltung in Shops sich dem Nutzerverhalten anpasst oder E-Mails geschickt werden, wenn man den Warenkorb vorzeitig verlässt oder dergleichen. Klar ist nur, dass dieser Bereich des Marketings stark wächst …

Dark Tourism: Tja, sogar der Tourismus hat inzwischen eine dunkle Seite, gemeint sind aber nicht Umweltsünden wie gerodete Wälder, verbaute Meeresküsten oder künstliche Schneepisten. Hier geht es um einen Trend, als Tourist Orte mit düsterer Geschichte aufzusuchen. Zum Beispiel Stätten eines Völkermords, Rekordsuizid-Brücken, Geisterdörfer, Schlachtfelder und ähnliches.

Quiz: Erkennen Sie, wofür dieses Wort stehen sollte?

Manche Sprachwahrer sind ja der Meinung, man müsse für jedes Fremdwort eine deutsche Alternative finden. Viele von ihnen erfundene Vorschläge sind jedoch nie im Sprachgebrauch angekommen und längst vergessen. Wir haben aus den gescheiterten Alternativen ein Quiz gemacht!

Von Hannah Molderings

.

Bitte Bürste benutzen!

Wie drückt man es am besten aus, dass eine Toilette nicht verdreckt werden soll? Diese Frage treibt Putzkräfte in deutschen Behörden immer wieder zu originellen Appellen. Die Formulierungen, die dabei herauskommen, sind aber nicht immer bis ins Letzte durchdacht.

Von Stefan Brunn

Prägnantes Formulieren ist ja eine Kunst für sich. Das gilt auch oder sogar besonders für Anweisungen neben Toiletten: Wer will da schon Details lesen? Andererseits liegt in der Prägnanz auch immer eine Gefahr: Es lauern logische Leerstellen in den Informationen!

Etwas zu knapp geraten ist etwa das weit verbreitete „Bitte Bürste benutzen!“ auf deutschen Amtstoiletten – es muss ja eben nicht jeder nach jedem Toilettengang die Bürste benutzen! Eine Vorschrift dieser Art ergibt keinen Sinn (auch wenn man natürlich weiß, dass damit der kleine Gang gar nicht gemeint ist).

Deutlich zu umständlich scheint uns aber folgende Anweisung zu sein, die wir in einer deutschen Bundesbehörde vorgefunden haben: „Es wird gebeten, im Bedarfsfalle zur zusätzlichen Reinigung der WC-Schüssel die Toilettenbürste zu benutzen.“ Hier wiehert der Amtsschimmel schon ganz schön.

Eine andere Variante fanden wir zwar charmant, aber wenig erfolgversprechend: „Es dürfen auch die Toilettenbürsten benutzt werden, um eventuelle Rückstände zu beseitigen.“ Hier ist die Statusinformation einfach falsch: Die Bürste „darf“ in einem solchen Fall ja nicht nur benutzt werden, sie „soll“ oder „muss“ sogar benutzt werden. Ironie ist hier am falschen Örtchen!

Als grafisch ausgefuchst (man beachte „Bitte“ und „Danke“ in Rot), aber inhaltlich unfreiwillig komisch empfanden wir die Variante, die Sie hier im Bild sehen: „Bitte verlassen Sie die Toilette in einem sauberen Zustand. Danke“. Zwar ist es sicher auch im Interesse des Dienstherrn, dass alle Mitarbeiter nach einem Toilettenbesuch in sauberem Zustand an ihre Arbeitsplätze zurückkommen. Wenn daran jedoch ernsthafte Zweifel bestehen, dann reichen sanfte Hinweise ganz sicher nicht mehr aus.

Kunst am Satzbau ist auch Kunst am Bau!

Kunst am Bau und Satzbaukunst sind zwei Dinge, die selten zusammenkommen. Einer unserer Leser hat jedoch ein Beispiel gefunden, das in seiner leisen parodistischen Art wirklich höchsten dichterischen Ansprüchen genügt – und das auf einer städtischen Schautafel!

Von Stefan Brunn

Das Foto dieser Schautafel am Bopparder Römerkastell verdanken wir unserem lieben Leser Silvio – er hat diese „administrative art“ entdeckt, fotografiert und uns freundlicherweise überlassen. Weil die Schautafel von Schmierfinken besprüht worden und damit schwer lesbar geworden ist, haben wir den Text für die Nachwelt transkribiert:

 

 

Pfeilerbau (vor dem 15. Jahrh.?)
………………………………………
Von einem zweischiffig (geplanten) Bau sind Reste der Fundamentierung seiner Pfeiler erhalten. Die sorgfältig gemauerten Fundamente messen 2,4 x 2,4 m. Sie reichen von der jetzigen Abbruchkante noch knapp 3 m tief in den anstehenden Auelehm. Ihre Stärke, die Tiefe Fundamentierung, die zusätzlich nach oben bis aus Schwellenhöhe des Kaufhauses zu verlängern wäre, falls sie zu diesem Haus gehören würden und die Tatsache, dass die Pfeilerreihe aus der Längsachse des Kaufhauses nach Süden verschoben ist, legen die Vermutung nahe, dass mit diesen Pfeilern ein älterer Bau begonnen wurde, der jedoch micht weiter zur Ausführung gelangte. Dann wäre zuerst an einen zur Propstei gehörenden Bau zu denken. Die Rasenfläche entspricht der Laufhöhe im Kastellinneren (4. – 5. Jahrh.) Die Basaltquader stammen von der Rossmühle (15. Jahrh.).

In dieser feinen Parodie stimmt einfach alles! Wenn Dichtung im vulgäretymologischen Sinne bedeutet, dass sich rhetorische Stilmittel höchst verdichtet präsentieren, so ist dieses Gedicht kaum zu toppen. Neben der Kühnheit im Satzbau begeistert unter anderem die fast schon ironische Gliederung der Gedanken, die üppig-ausufernde Darstellung unerheblicher Details, die innovative Wortwahl (allem voran natürlich der geniale Neologismus „micht“ aus „mich“ und „nicht“), der schmale Blocksatz mit seinen luftig gesperrten Abständen, die rebellische Rechtschreibung und natürlich die Sorgfalt in solchen Details wie unkonventionellen Abkürzungen. Wundervoll, dass der Text ganz unverdächtig beginnt, noch dazu mit einem kurzen Satz, wie ihn jeder von uns auch benutzen könnte. Aber dann!

Noch eindrucksvoller ist aber, wie der Verfasser auf so kurzer Strecke und wie nebenbei Passiv-Konstrukte, Partizipien, Substantivierungen und Streckverben versammelt. Kaum jemand dürfte jemals in einem so kurzen Text so viele antirhetorische Mittel vereint haben.

Es handelt sich bei diesem Bopparder Fund um eine ganz, ganz seltene Art der stilistischen Parodie am (Satz-)Bau, die noch in Jahrh. den subtilen Humor unserer heutigen Verwaltung beweisen wird. Micht!

Regelmäßig liefern wir in unserem Newsletter ZEILEN|HACKER einen „Murx des Monats“ aus. Oft geht es um lustige Rechtschreibfehler, manchmal um Stilblüten oder auch um besonders dämliche Texte. Der Stoff dafür geht uns nie aus! Und ja: Wir wissen, dass man Murks nicht mit X schreibt!

Schreiben wie im Marketing: das Muster hinterm Teaser

Das Geheimnis des schnellen Schreibens liegt in klar definierten Textmustern. Deshalb geben Verlage ihren Autoren bewährte Muster vor. Wir zeigen Ihnen anhand von Beispielen das häufigste Muster, das zum Beispiel auch der Spiegel nutzt.

Von Stefan Brunn

Erstens: Schnell schreiben kann nur, wer über die Struktur seines Textes nicht lang nachdenken muss.

Zweitens: Erfolgreich werden Texte nur, wenn Sie eine Struktur besitzen, die sich in der Evolution der Texte (also bei Leserinnen und Lesern) durchgesetzt hat.

Unterm Strich
können Verlage also am Informationsmarkt dann erfolgreich sein, wenn sie eine erfolgreiche Textstruktur identifizieren und alle Autoren danach schreiben. Und genau dieses Ziel verfolgen die Verlage auch.

Im Hintergrund dieser Überlegungen stehen kognitionspsychologische Theorien, die sich das Marketing schon lange zunutze macht. Zwei sind besonders erwähnenswert:

Information Scent
Diese Theorie beruht auf einer Metapher: Raubtiere optimieren bei der Jagd das Kosten-/Nutzen-Verhältnis zwischen aufgewendeter und verbrauchter Energie. Übertragen heißt das zum Beispiel, dass NachrichtenkonsumentInnen immer genau gucken, wie viel Zeit und Mühe sie aufwenden müssen, um möglichst viel Wissen/Nutzen/Unterhaltung als Beute zu erhalten. Es kann also durchaus sein, dass sie nicht den großen Kaninchen nachjagen, obwohl diese nahrhafter sind: Sie sind eben auch schwerer zu erlegen. Die Informationsfährten-Theorie von Peter Pirolli und Stuart Card beinhaltet auch, dass die Fährte mit jedem Schritt für den Nutzer stärker werden muss, sonst bricht er die Jagd ab.

Conversion Trinity
Eine Art heiliger Dreifaltigkeit, auf den Punkt gebracht von Marketing-Guru Bryan Eisenberg: 1. Das Problem muss relevant für mich sein (Relevance). 2. Die Lösung muss mich überzeugen (Value). 3. Wie komme ich jetzt leicht an die Lösung (Call-to-Action)?

Einen sehr ähnlichen Dreischritt geben etwa auch die „Textstandards“ von Spiegel online vor. Hier heißen sie allerdings „Reiz-These-Rampe“:

1. Reiz: Man macht den Leser heiß, indem man ein relevantes Thema mit Reizwörtern attraktiv darstellt.
2. Kernthese: Dem Leser wird eine Nachricht präsentiert, die einen oder mehrere sogenannte Nachrichtenfaktoren enthält: Neuheit, Bedeutung, Nähe, Nutzwert, Konflikt, Kuriosität, Prominenz, Humor, Erotik …
3. Rampe: Man macht Lust auf mehr, verspricht beim Weiterklicken die tollsten Sachen und lässt es so aussehen, als wäre man an der fetten Beute schon ganz nah dran …

Genau nach diesem Schema sind auch die Teaser bei Spiegel online und vielen, vielen anderen Online-Medien geschrieben. Überprüfen Sie die Struktur an folgenden Echtbeispielen aus Spiegel online:

„Geschäftsmäßige Suizidhilfe ist in Deutschland verboten. Ein Arzt hält das Gesetz für schlecht gemacht – und will es vor dem Bundesverfassungsgericht kippen. Hier erklärt er, warum.“

„Im australischen Queensland ist auf der Windschutzscheibe eines Autos plötzlich eine Schlange aufgetaucht. Das Reptil erwies sich als außerordentlich anhänglich – zum Entsetzen der Insassen. Das Video.“

„In wenigen Wochen will Samsung das erste faltbare Smartphone auf den Markt bringen – nach zehnjähriger Entwicklungszeit. Wir konnten es ausprobieren. Eine Frage bleibt ungeklärt.“

So klar und erfolgreich dieses Muster auch ist – manchmal übertreiben es Leute auch, die den Teasern von Spiegel & Co. nacheifern:

„Haben sie eine Wand zuhause? Dann sind diese drei Minuten Fitness-Übungen perfekt für Sie. Jetzt als Gratis-PDF sichern!“

Aufs richtige Pferd gesetzt, aber aufs falsche Foto!

Unser Hausblatt des unfreiwilligen Humors hat uns einmal mehr mit einer tollen Metapher beglückt: „Aufs richtige Pferd gesetzt“ heißt es in einer Überschrift, geschickt mit einer Redewendung spielend. Der Texter hatte hier aber die Rechnung ohne den Layouter gemacht – sehen Sie selbst!

Von Stefan Brunn

Da hatte sich der Texter der XY-Nachrichten (Titel ist der Redaktion mehr als bekannt) bei der Überschrift solche Mühe gegeben: Eine passende Metapher gesucht, sie geschickt abgewandelt, sogar auf den falschen Apostroph bei „aufs“ verzichtet. Und dann das: Im Layout ergibt sich ein ganz, ganz unglücklicher Zusammenhang. So kann schlechtes Layout ziemlich diskriminierend rüberkommen …

Wer die ganze Zeitungsseite betrachtet (siehe zweites Bild), versteht eine der wichtigsten Regel guten Designs besser: Nahestehende Objekte werden als zusammengehörig interpretiert. Diese Regel sollte der Texter dem Layouter vielleicht mal an den Monitor pinnen …