Kunst am Bau und Satzbaukunst sind zwei Dinge, die selten zusammenkommen. Einer unserer Leser hat jedoch ein Beispiel gefunden, das in seiner leisen parodistischen Art wirklich höchsten dichterischen Ansprüchen genügt – und das auf einer städtischen Schautafel!
Von Stefan Brunn
Das Foto dieser Schautafel am Bopparder Römerkastell verdanken wir unserem lieben Leser Silvio – er hat diese „administrative art“ entdeckt, fotografiert und uns freundlicherweise überlassen. Weil die Schautafel von Schmierfinken besprüht worden und damit schwer lesbar geworden ist, haben wir den Text für die Nachwelt transkribiert:
Pfeilerbau (vor dem 15. Jahrh.?)
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Von einem zweischiffig (geplanten) Bau sind Reste der Fundamentierung seiner Pfeiler erhalten. Die sorgfältig gemauerten Fundamente messen 2,4 x 2,4 m. Sie reichen von der jetzigen Abbruchkante noch knapp 3 m tief in den anstehenden Auelehm. Ihre Stärke, die Tiefe Fundamentierung, die zusätzlich nach oben bis aus Schwellenhöhe des Kaufhauses zu verlängern wäre, falls sie zu diesem Haus gehören würden und die Tatsache, dass die Pfeilerreihe aus der Längsachse des Kaufhauses nach Süden verschoben ist, legen die Vermutung nahe, dass mit diesen Pfeilern ein älterer Bau begonnen wurde, der jedoch micht weiter zur Ausführung gelangte. Dann wäre zuerst an einen zur Propstei gehörenden Bau zu denken. Die Rasenfläche entspricht der Laufhöhe im Kastellinneren (4. – 5. Jahrh.) Die Basaltquader stammen von der Rossmühle (15. Jahrh.).
In dieser feinen Parodie stimmt einfach alles! Wenn Dichtung im vulgäretymologischen Sinne bedeutet, dass sich rhetorische Stilmittel höchst verdichtet präsentieren, so ist dieses Gedicht kaum zu toppen. Neben der Kühnheit im Satzbau begeistert unter anderem die fast schon ironische Gliederung der Gedanken, die üppig-ausufernde Darstellung unerheblicher Details, die innovative Wortwahl (allem voran natürlich der geniale Neologismus „micht“ aus „mich“ und „nicht“), der schmale Blocksatz mit seinen luftig gesperrten Abständen, die rebellische Rechtschreibung und natürlich die Sorgfalt in solchen Details wie unkonventionellen Abkürzungen. Wundervoll, dass der Text ganz unverdächtig beginnt, noch dazu mit einem kurzen Satz, wie ihn jeder von uns auch benutzen könnte. Aber dann!
Noch eindrucksvoller ist aber, wie der Verfasser auf so kurzer Strecke und wie nebenbei Passiv-Konstrukte, Partizipien, Substantivierungen und Streckverben versammelt. Kaum jemand dürfte jemals in einem so kurzen Text so viele antirhetorische Mittel vereint haben.
Es handelt sich bei diesem Bopparder Fund um eine ganz, ganz seltene Art der stilistischen Parodie am (Satz-)Bau, die noch in Jahrh. den subtilen Humor unserer heutigen Verwaltung beweisen wird. Micht!
Regelmäßig liefern wir in unserem Newsletter ZEILEN|HACKER einen „Murx des Monats“ aus. Oft geht es um lustige Rechtschreibfehler, manchmal um Stilblüten oder auch um besonders dämliche Texte. Der Stoff dafür geht uns nie aus! Und ja: Wir wissen, dass man Murks nicht mit X schreibt!