Schlagwort: Verständlichkeit

Wissenschaft auf dem Niveau von Heftchenromanen

Wirkt es nicht inkompetent oder grenzdebil, wenn man allzu kurze Sätze und Wörter schreibt? Diesen Zweifel hören wir oft, aber er ist unberechtigt. Wir heben einmal eine mehrfach ausgezeichnete Autorin heraus, die vorbildlich verständlich schreibt – und zugleich spannend und abwechslungsreich.

„Heftchenroman“. Das ist eine Stufe in der Verständlichkeits-Prüfmaschine Textinspektor.de. Aber soll das wirklich ein erstrebenswertes Niveau sein, so zu klingen wie ein Heftchenroman?

Ja, zumindest dann, wenn es darum geht, leicht verständliche Texte zu schreiben. Gibt man etwa eine Reportage der freien Journalistin Anke Sparmann in den Textinspektor ein, dann wirft er als Bewertung meist „Roman“ oder wirklich „Heftchenroman“ aus. Die Journalistin schreibt nämlich lauter kurze Sätze mit lauter kurzen Wörtern. Zu einfach? Nö. Anke Sparmann schreibt ganz großartige Reportagen für GEO, Zeit oder PM und ist dafür schon mehrfach ausgezeichnet worden.

Aber machen Sie sich selbst ein Bild! Wir verlinken hier einmal zwei ihrer Reportagen – für alle, die sehen wollen, wie man Wissenschaftsthemen in einer völlig unwissenschaftlichen Sprache spannend aufbereiten kann:

Arche oder Freizeitpark? Ein Blick hinter die Kulissen der neuen Zoos
Viele moderne Zoos setzen auf eine Kreuzung aus Freizeitpark und Schutzstation. Besucher gehen auf Expedition in Attrappen von Dschungel oder Savanne, Wildtiere dienen als Statisten. GEO
Pestizide und das Ende unserer Insekten
In Gärten und auf Feldern vollzieht sich ein Massensterben: Die Bestäuber verenden, Bienen, Käfer und Schmetterlinge, auf die unsere Nahrungspflanzen angewiesen sind. Als Täter unter schwerem Verdacht: Pestizide namens Neonicotinoide. Warum wurden sie überhaupt zugelassen? Warum sind sie nicht längst verboten? Ein Bericht über die Mühen, Unheil zu verhindern. GEO

Was macht Bücher optimal lesbar? Zwei Forscher zeigen es auf einer Seite!

Das Buch „What makes a book readable“ von 1935 gilt als Meilenstein der Verständlichkeitsforschung. Noch heute werden William S. Gray und Bernice E. Leary von Wissenschaftlern zitiert. Wir haben mal reingeguckt und unseren Spaß gehabt …

So sieht die erste Text-Seite des Buches aus, das Vorwort nämlich:

Hier wird, nach heutigen Maßstäben, ja wohl eher gezeigt, was Bücher schlecht lesbar macht:

• keine richtige Überschrift
• viel zu wenige, dafür viel zu lange Absätze
• Schriftgröße zu gering
• schlecht lesbare Schriftart
• Zeilenabstand zu klein
• und vieles mehr …

Inhaltlich ist es übrigens absolut berechtigt, dass das Buch noch heute zitiert wird, vor allem wegen seines interessanten theoretischen Ansatzes: der Kategorisierung von Verständlichkeits-Kriterien. Für Gray und Leary kristallisierten sich in der Studie vier Faktoren heraus, die für die Lesbarkeit von Büchern entscheidend sind:

Der Faktor Inhalt erklärt sich von selbst, unter Stil verstehen die beiden vor allem Wortwahl, Satzbau und dergleichen, Organisation steht für solche Dinge wie Kapiteleinteilung, Überschriften, Zwischenüberschriften etc., während Format die Größe des Buches meint, Schriftgrößen, Druckqualität oder Papierbeschaffenheit.

Diese Kategorien sind aus heutiger Sicht immer noch plausibel. Es sind nach 80 Jahren der Forschung bloß einige weitere Faktoren hinzugekommen, nämlich Zielgruppenangemessenheit, Leseanreize, Verständlichkeitshilfen und die Prägnanz der Darstellung.

Außerdem liegt zwischen dem, was Gray und Leary Organisation und Format nennen, ein damals offenbar unterschätzter Faktor: die optische Logik. Und genau auf diesem Feld sehen das Buch und vor allem dessen erste Seite wirklich aus wie Ironie!