Kategorie: Allgemein

Schreiben wie Greta Thunberg ist jetzt ganz einfach!

Greta Thunberg ist das Idol Millionen junger Menschen. Jetzt kann jeder so schreiben wie die Aktivistin: Eine Werbeagentur hat ihre Handschrift nachgebaut und als freien Font verfügbar gemacht. Wir haben es natürlich gleich ausprobiert mit unserem Logo …

Von Stefan Brunn

Sieht gar nicht mal so übel aus, oder? Eben weil die handschriftlichen Buchstaben sich für große Plakatflächen gut eignen, habe man ja die Schrift angefertigt, wird die New Yorker Werbeagentur Uno vom Designmagazin PAGE zitiert. Oder hat da vielleicht eine Agentur geahnt, dass sie vom Ruhm der jungen Frau etwas abbekommt?

Im Bild unten sieht man Greta Thunberg mit einem der beiden Plakate, die der Agentur als Vorbild dienten.

Foto: Anders Hellberg (Wikipedia)

Um Plakate zu setzen, ist die Schrift sogar halbwegs brauchbar. Allerdings sollte man bei seinen Forderungen tunlichst auf Umlaute verzichten, denn im Gegensatz zu Greta Thunbergs tatsächlicher Handschrift gibt der Font „Greta Grotesk“ weder Ös noch Äs oder Üs her! 😉

Download der „Greta Grotesk“ bei Google Drive

Warum man Deutsch viel leichter liest als Englisch

Ein französischsprachiges Kind liest mit neun Jahren immer noch schlechter als ein siebenjähriges deutschsprachiges Kind. Experten erklären das mit der „Transparenz der Sprache“: Die Umwandlung von Buchstaben in Laute ist im Deutschen viel regelmäßiger. Eine Europakarte zeigt große Unterschiede.

Von Stefan Brunn

Deutsche Sprache, schwere Sprache: Das stimmt so pauschal nicht und beim Lesenlernen schon gar nicht. Verglichen mit anderen Sprachen ist Deutsch nämlich eine sehr regelmäßige Sprache. „Leseanfänger können schon nach wenigen Monaten nahezu jedes Wort lesen, da es praktisch keine unregelmäßigen Lautformungen gibt“, erklärt die Kommunikationsdesignerin Antonia M. Cornelius. Sie veranschaulicht in ihrem Buch „Buchstaben im Kopf“ die Lese-Fehlerquote der Kinder nach den ersten beiden Schuljahren in einer Grafik, die wir hier mit freundlicher Genehmigung der Autorin abbilden.

In dem Schaubild liegt Englisch mit weitem Abstand vor allen anderen Sprachen – die Kinder dort machen also beim Lesen anfänglich viel mehr Fehler als Kinder zum Beispiel in Finnland, das mit 2 Prozent die niedrigste Quote hat. Mit vier Wortpaaren verdeutlicht Cornelius in ihrem Buch, wo im Englischen konkret die Probleme liegen:

HAS – WAS
TOUGH – DOUGH
FLOUR – TOUR
HEADER – READER

Wenn Sie diese Wörter einmal selbst sprechen, fällt Ihnen auf, dass sie zwar gleich geschrieben, aber völlig anders ausgesprochen werden.

Cornelius weist darauf hin, dass beispielsweise chinesische Kinder es noch schwerer haben: Das Mandarin habe nur etwa 1.300 verschiedene Silben, aber insgesamt 87.000 Schriftzeichen (von denen man im Alltag 3.000 bis 5.000 beherrschen müsse). Insofern werde jede Silbe auf viele sehr verschiedene Begriffe verwendet.

Cornelius‘ Buch „Buchstaben im Kopf“ versammelt auf 180 Seiten sehr viele lesenswerte Informationen über das Lesen und die dafür beste Schriftgestaltung. Im Untertitel heißt das Buch „Was Kreative über das Lesen wissen sollten, um Leselust zu gestalten“. Unter anderem räumt Cornelius auch mit lang bestehenden populären Irrtümern auf, zum Beispiel damit, dass wir Wörter vor allem anhand ihrer Umrisse erkennen. Diese Annahme sei längst widerlegt. Der wirkliche Leseprozess sei deutlich komplexer, schreibt Cornelius: Er finde simultan auf drei Erkennungsebenen statt: der Merkmal-, Buchstaben- und Wortebene. Wie genau das geschieht, kann man in ihrem Buch nachlesen.

Antonia M. Cornelius: Buchstaben im Kopf. Was Kreative über das Lesen wissen sollten, um Leselust zu gestalten. Verlag Hermann Schmidt: Mainz, 2017. 180 Seiten; 35 Euro.
www.antoniacornelius.com/buchstaben-im-kopf

Was ist aus juristischer Sicht lesbar und was nicht?

„Wenn Ihre Werbung ein weiteres Mal eine zu kleine Schrift verwendet, setzt es ein Ordnungsgeld bis zu 250.000 Euro, ersatzweise Ordnungshaft bis zu 6 Monaten!“ So las sich jüngst ein Urteil eines Landgerichts gegenüber einem Einzelhändler. Aber was heißt eigentlich „kleine Schrift“ in Punkt oder Millimetern?

Von Stefan Brunn

Die schlechte Nachricht zuerst: Weder ist die Frage zulässiger Schriftgrößen gesetzlich geregelt noch setzen die obersten Gerichte Deutschlands eine einheitliche Mindestgröße voraus. Was also als Kleingedrucktes zu klein gedruckt ist, interpretieren die Gerichte unterschiedlich.

Die gute Nachricht lautet: Wer einen Text in mehr als 8 Punkt (also über 3 Millimeter hohe Buchstaben) druckt, ist im Regelfall auf der sicheren Seite. Das gilt zum Beispiel für Produktverpackungen, Zeitungsanzeigen oder Flyer. Das gilt natürlich nicht für Plakatwände – hier wären ja 8 Punkt aus der normalen Lesedistanz überhaupt nicht wahrnehmbar.

Bei dem eingangs erwähnten Urteil des Landgerichts Coburg ging es um die Werbung für einen drahtlosen Bluetooth-Lautsprecher, genauer: die Darstellung eines Testurteils in der Zeitschrift „Video“. Die Quelle „Video“ unter der Testnote („überragend“) erschien einem Wettbewerber zu klein angebracht, so dass er auf Unterlassung klagte – und gewann. Das Gericht setzte in seiner Begründung die Untergrenze von 6 Punkt an. Diese Grenze findet sich im letzten Jahrzehnt in mehr und mehr Urteilen wieder, begleitet von Faktoren wie Kontrast oder „üblicher Laufweise“ (Bundesgerichtshof).

Wirklich konkrete und verbindliche Punkt- oder Millimeterangaben findet man nur in so exotischen Normen wie der Fertigverpackungsverordnung der EU oder etwa in Urteilen des Bundesgerichtshofs zum Heilmittelwerberecht. Einzelne Verpackungsverordnungen wiederum unterscheiden sich aber auch wieder voneinander: Zwischen einer Schriftgröße von zwei (EU-Fertigpackungsverordnung) und einer von vier Millimetern (vorgeschriebene Schriftgröße der Füllmenge im Honigtopf!) liegt ja eine ganze Zeile!

Auch Gerichte selbst berücksichtigen übrigens Argumente nur, wenn sie groß genug geschrieben sind. Das ist kein Witz: Das Bundessozialgericht wies schon eine Anhörungsrüge als unzulässig zurück, weil die vorgebrachten Argumente eines Beteiligten in praktisch nicht mehr zu entziffernder Schriftgröße formatiert waren (B 13 R 17/15 C). Die Richter empfanden das offenbar als Manipulationsversuch oder Schikane. Vielleicht war es ihnen auch einfach zu blöd, sich durch so kleine Texte zu quälen.

Wir lesen nach bestimmten Mustern, nur welchen?

Die Annahme, dass Texte vom Anfang bis zum Ende gelesen werden, war schon immer naiv. Stattdessen gibt es diverse konkurrierende Muster, nach denen man sich Texten zuwendet – und diese sind von vielen Faktoren abhängig.

Von Maren Tönisen

Jahrhundertelang basierte die Leseforschung auf Spekulationen. Erst in den letzten 50 bis 100 Jahren nähert sie sich von mehreren Seiten halbwegs wissenschaftlichen Erkenntnissen an. Manche kommen aus der Kognitionspsychologie, andere von Techniken wie dem Eyetracking oder dem Readerscan, vor allem aber hat man gelernt aus dem Tracking mit Google Analytics, Chartbeat und anderer Software.

Aufbauend auf diesen Ergebnissen entwickeln Forscher, Praktiker und Berater jetzt Theorien, nach welchen Mustern die Leute lesen – beziehungsweise scannen. Diese Annahmen konkurrieren mit teils netten Namen wie „Layer-Cake-Pattern“ um Anerkennung in der Wissenschaftsgemeinschaft. Wir haben ein paar dieser Lese-Muster-Modelle ausgewählt und uns deutsche Übersetzungen für ihre Namen ausgedacht:

Commitment-Pattern

Das „Kohldampf-Schema“ tritt dann auf, wenn Leser sich extrem für eine Sache interessieren. Sie saugen einen Text dann vom ersten bis zum letzten Wort begierig auf. Richtige Fans zum Beispiel tun das, wenn das Objekt ihrer Begierde etwas verkündet. Das passiert auch schon mal, wenn in Suchtreffern, Betreffzeilen oder Überschriften etwas ganz Großartiges versprochen wurde. Zum Beispiel, wie man ein schlimmes Computerproblem löst. Oder wie man sich einen geldwerten Vorteil verschafft. Oder, umgekehrt, bei Post vom Abmahnanwalt, von der Staatsanwaltschaft, der Polizei oder von Aufsichtsbehörden: Solche Texte lesen selbst Lesefaule oft sehr intensiv vom ersten bis zum letzten Wort 😉

Leider glauben aber zu viele Autoren, dass ihre Leser jedes Wort verschlingen – es stimmt nämlich meist nicht. Trotzdem scheinen unzählige Vorstände, Präsidenten und andere wichtige Funktionäre zu glauben, dass man jedes ihrer Worte sehnsüchtig erhofft. Anders kann man sich die ellenlangen Vor- und Geleitworte in Broschüren jedenfalls kaum erklären.

Z-Pattern

Das „Z-Muster“ ist für alle ein alter Hut, die ihr Handwerk im Zeitungsgewerbe erlernt haben. Angeblich fängt der Leser demzufolge eine gedruckte Seite links oben zu lesen an und schwenkt vom oberen rechten Teil der Seite nach links unten, um dann nach rechts unten zu blicken. Diese Annahme widerspricht allerdings einer anderen Theorie: dass nämlich in Zeitungen und Zeitschriften immer zuerst die Bilder angesprungen werden. Die Blattmacher bauen ihre Seiten deshalb nach dem Henne-Küken-Prinzip auf: Ein großes Bild zieht das Auge an, zwei bis vier weitere lenken den Blick weiter und verführen den Leser zum Verweilen auf der Seite.

Im Internet gelten ganz andere Regeln – schon deshalb, weil die User dort Bilder anders bewerten: Oft erwarten sie nämlich, dass Bilder entweder Werbung beinhalten oder nur informationslose Stockfotos sind. Und solche Bilder blenden Leser unheimlich gern aus.

F-Pattern

Das „F-Schema“ ist ein ebenfalls recht bekanntes und auch anerkanntes Muster. Es tritt auf, wenn der Leser überhaupt noch nicht weiß, was er von einem Text erwarten darf. Der Leser testet den Text in Form eines F an: Die erste Zeile liest er noch recht weit, dann probiert er einen anderen Absatz, liest dessen erste Worte und fliegt dann mit den Augen nach unten. Sieht man sich die Fixationspunkte aus der Distanz an, bildet sich eine F-Form aus. Leser benutzen diese Art zu lesen, weil sie so mit wenig Aufwand und schnell prüfen können, ob ihnen ein Text weiterhilft. Für Autoren heißt das: sofort liefern! Wer nicht spätestens mit dem Beginn des zweiten Absatzes überzeugt, kriegt keine dritte Chance.

Layer-Cake-Pattern

Dieses „Schichtkuchen-Muster“ tritt auf, wenn der Leser zunächst alle Überschriften und Zwischenüberschriften liest, nicht aber die Absätze dazwischen. Das ist für ihn vor allem dann sinnvoll, wenn der Text viele und gut strukturierte Überschriften enthält. Typischerweise ist das bei FAQ-Texten (Frequently Asked Questions) der Fall, aber auch dann, wenn sich ein Autor viel Mühe mit der Struktur eines Textes und den Überschriften gegeben hat. Aus unserer Sicht sollten Texter dieses Lesemuster immer erwägen: Die Gruppe der potenziellen Leser ist sicher zig Mal so groß wie die der Fans, die nach jedem Wort des Autors lechzen.

Spotted-Pattern

Das „Trüffelschwein-Muster“ tritt auf, wenn der Leser extrem gezielt nach einer bestimmten Information sucht – das kann zum Beispiel eine Wortdefinition sein oder eine Preisinformation oder bestimmte Öffnungszeiten oder ein Link. Genau genommen kann man dieses Scannen nicht mal Lesen nennen, denn es handelt sich nur um eine Suche. Dieses Muster kommt vermutlich viel häufiger vor, als Texter es wahrhaben wollen. Leser, die nur nach Trüffeln suchen, wollen diese nicht tief verbuddelt in Textmengen sehen, sondern eher grafisch hervorgehoben, gern auch in Listen oder Tabellen.

Mehr über das F- und das Schichtkuchen-Muster gibt’s auf den Seiten der Norman-Nielsen-Group zu lesen oder im folgenden Video:

Und der Doktortitel gehört doch nicht zum Namen!

Hat jemand, der einen Doktortitel trägt, das Anrecht darauf, dass er mit „Dr.“ angesprochen oder angeschrieben wird? Nein, das hat er nicht – es handelt sich aber um eine weit verbreitete Annahme. Wir verraten Ihnen, wo man solche und viele andere Klärungen von Anreden etc. findet.

Vermutlich glaubt eine Mehrheit der Deutschen, dass der Doktortitel zum Namen gehört. Er steht ja auch oft genug in der Namenszeile des Personalausweises. Aber: Träger eines Doktortitels haben keinen Anspruch darauf, dass ihnen gegenüber der Doktortitel in einer Anrede oder in einer Anschrift gebraucht wird. Akademische Grade gehören generell nicht zum Familiennamen. Auf Personalausweisen kann der Doktortitel jedoch vor dem Familiennamen eingetragen werden – auf Wunsch des Trägers.

Wer mehr Informationen zu Anschriften und Anreden haben möchte, wird beim „Protokoll Inland der Bundesregierung“ fündig: www.protokoll-inland.de

Warum Prozente oft gar keine Prozente sind …

Wenn Leute Zahlen vergleichen, machen Sie einen Fehler immer wieder: Sie verwechseln Prozente und Prozentpunkte. Dabei ist der Unterschied riesig.

Die Grundregel lautet: Absolute Änderungen von Prozentsätzen gibt man in Prozentpunkten an, relative Änderungen in Prozenten. Wie groß der Unterschied ist, macht unser erstes (rein fiktives) Beispiel deutlich:

2021 wurden 20 Prozent aller Wildschweine abgeschossen, 2018 waren es nur 2 Prozent. 2021 wurden also 18 Prozentpunkte mehr Wild abgeschossen als noch 2018. Das bedeutet aber nicht, dass 18 Prozent mehr Wild geschossen wurde als noch 2018. Tatsächlich ist diese Steigerung viel, viel höher. Es wurden nämlich 900 Prozent mehr Wildschweine abgeschossen als noch vor vier Jahren.

Wie sind wir auf die Steigerung von 900 Prozent (statt fälschlich 18 Prozent) gekommen?
Um wie viele Prozentpunkte hat sich der Abschuss von Wildschweinen gegenüber 2018 geändert? Um das zu ermitteln, rechnet man: 20 – 2 = 18. Die 18 geben die Prozentpunkte an. Dann dividiert man die Differenz der Prozentpunkte durch den niedrigeren Prozentwert (18 : 2 = 9). Das Ergebnis nimmt man mal 100, um auf den neuen Prozentwert zu kommen (9 x 100 = 900). Ergebnis: Der Wildabschuss hat sich also von 2018 auf 2021 um 900 Prozent gesteigert. Natürlich rein fiktiv, wir haben nicht die geringste Ahnung von Jagd und Wildschweinen.

Von Politik haben wir schon etwas mehr Ahnung, und hier wird der Prozent-Prozentpunkte-Fehler unglaublich oft gemacht. Also auch hierzu noch ein Beispiel:

2021 hat die XY-Partei 12 Prozent erreicht, 2017 waren es 10 Prozent. 2021 hat die XY-Partei also 2 Prozentpunkte mehr erreicht als 2017. Die XY-Partei hat aber 20 Prozent mehr Stimmen bekommen als bei der letzten Wahl und nicht 2 Prozent mehr!

Wenn das mal keine Steilvorlage für politische Statements nach Wahlen ist: Eine Steigerung um 20 Prozent lässt sich doch viel besser verkaufen als eine um 2 Prozentpunkte und ist auch noch deutlich richtiger als eine um 2 Prozent ☺.

Sätze kann man auch malen!

Wie behält man bei Satzmonstern mit mehreren Köpfen und Schwänzen den Überblick? Manchmal weiß man ja gar nicht mehr, wo vorne und wo hinten ist! Analytisch geht das mit sogenannten „Satzbildern“. Wir zeigen Ihnen in aller Kürze, wie solche Satzbilder aussehen und wie man sie malt.

Von Hannah Molderings

Mit „Satzbildern“ zeichnet man sehr einfach Sätze nach und macht damit ihre Struktur deutlicher. Hauptsätze werden durch dickere Striche, Gliedsätze durch dünnere gekennzeichnet. So lässt sich ganz leicht visualisieren, wo ein Satzteil beginnt und wo er endet. Wir haben einige Beispielsätze aus der „vergnüglichen Sprach- und Stilkunde“ des ehemaligen Münchner Deutschlehrers und -trainers Hans Lobentanzer herausgesucht:

Der starke, kräftige, lange Regen machte uns nichts aus.

 

Meine Schwester konnte mir nicht helfen, weil sie immer absagte, wenn sie lästige Arbeiten machen sollte, die sie nicht mochte.

 

Alles, was wichtig ist, ist, dass man stets weiß, was man tut.

Und was merken wir uns?

Erstens: Um zu zeigen, wie kompliziert ein Satz ist, bieten sich solche Satzbilder wirklich an.

Zweitens: Je einfacher man schreibt, desto einfacher zeichnet es sich – vor allem aber die Leser/Zuhörer*innen profitieren davon!

Worum geht’s vordergründig? Bitte vollumfänglich klären!

Wenn Wörter unterschiedlich verstanden werden, wird Kommunikation gefährlich. Unzählige Male haben wir das in Seminaren schon am Beispiel „grundsätzlich“ gezeigt. Ähnlich sieht’s bei dem trendigen Wort „vordergründig“ aus.

Von Stefan Brunn

Das folgende Beispiel stammt aus dem Anlegermagazin „Der Aktionär“. Es geht in einem Interview um einen Aktionär, der sich durch die Berichterstattung eines Journalisten der „Financial Times“ über das DAX-Unternehmen Wirecard um viel Geld gebracht sieht. Uns geht es aber nur um die Verwendung des Wortes „vordergründig“:

„Vordergründig“ so zu benutzen wie hier – das ist gerade in Mode, jedenfalls sehen wir es immer häufiger. Ähnlich wie bei „grundsätzlich“ oder „vollumfänglich“ wollen die Benutzer*innen offenbar damit weismachen, dass es sich um einen juristischen Fachterminus handelt. Aber das ist natürlich Quatsch.

Wie der Gebrauch des Wortes „grundsätzlich“ ist auch der Gebrauch von „vordergründig“ unsicher in der Kommunikation – weil einige Menschen den Begriff anders verstehen als andere. Nach wie vor werden die meisten Leute „vordergründig“ so verstehen wie hier:

„Russlands Präsident Wladimir Putin besucht wieder einmal Budapest. Vordergründig geht es bei dem Treffen mit Ungarns Regierungschef Viktor Orbán um den Schutz verfolgter Christen – in  Wahrheit um Strom, Gas und Geld.“

Bei „grundsätzlich“ verstehen die einen es so, dass es um einen Grundsatz geht, vom dem man jederzeit Ausnahmen machen kann. Die anderen aber verstehen genau das Gegenteil: dass man nämlich gerade hier nie eine Ausnahme macht. Wer zum Beispiel sagt: „Ich bin grundsätzlich gegen die Todesstrafe!“, der meint ganz sicher nicht, dass er es heute so, morgen so sieht. Sondern er ist immer gegen die Todesstrafe und wird sie nie akzeptieren.

Ähnlich sieht es bei allen aus, die „vordergründig“ wie im obigen Wirecard-Beispiel benutzen: Gemeint ist vermutlich, dass man sich „hauptsächlich“ gegen Unbekannt wendet und „hauptsächlich“ bisher unbekannte Mittäter ermitteln wolle. Aber gerade diese Formulierung/Übersetzung legt natürlich nahe, dass es „eigentlich“ um etwas ganz anderes geht. Und das nährt durchaus Zweifel an der Lauterkeit der eigenen Aussage, ganz ungewollt vermutlich.

Ein Schelm könnte zum Beispiel denken, dass es nur „vordergründig“ darum geht, gegen Unbekannt zu ermitteln. „Hauptsächlich“, würde dieser Schelm denken, geht es vielleicht darum, den Journalisten Dan McCrum und die „Financial Times“ in dieser Sache abzuschrecken bzw. mundtot zu machen. Aber wie gesagt: Das würde natürlich nur ein Schelm denken!



Unser Rat unterm Strich
: Packen Sie die Wörter „grundsätzlich“, „vordergründig“ und „vollumfänglich“ in den Giftschrank – durch die unterschiedliche Verwendung besteht einfach zu viel Verwechslungsgefahr. Und wichtigtuerische Sprache ist auch kein guter Stil.

Der orthographische Arm des Rechtsradikalismus?

Die FDP wollte ein witziges Video machen und sich darin einerseits gegen Neonazis stellen und andererseits für mehr Bildung werben. Man kann nicht sagen, dass das gut geklappt hätte, denn es gibt nur Verlierer – einer davon ist die Orthographie.

Von Stefan Brunn

Machen wir es anders als viele Leute, die sich an Shitstorms beteiligen: Wir sehen uns erst mal an, worum es geht:

Die FDP bedient sich hier einer alten Idee, die sogar mal lustig war: Man nimmt Parolen ihren Ernst, indem man sie auf einer ganz anderen Ebene korrigiert. In Giovanni Guareschis „Don Camillo und Peppone“ geschieht das einigen Kommunisten, denen man die Parolen an den Wänden berichtigt. Auch Brian in Monty Pythons „Das Leben des Brian“ muss sich korrigieren lassen, als er „Römer, geht nach Hause!“ an die Wand schreibt: Ein Centurio lässt ihn sein falsches „Romanes eunt domus“ 100 Mal neu (und richtig) schreiben.

Vielleicht gab es diesen Witz ja bei den alten Römern schon, er ist eigentlich zeitlos. Was aber passiert im Herbst 2019? Die FDP wärmt diese alte Idee auf und wendet sie auf Neonazis an – man hätte bei diesem Feind ja allseitigen Beifall der Netzgemeinde erwartet. Stattdessen erntet die FDP einen Shitstorm bei Facebook & Co., in vielen Zeitungen und im Fernsehen. Sie verharmlose Rechtsradikalismus, heißt es, irgendeiner twittert sogar: „FDP, der orthographische Arm des Rechtsradikalismus“. In der Folge greifen andere wiederum diese böse Parole auf, unter anderem der Moderator Klaas Heufer-Umlauf in „Late Night Berlin“. Die rechten Parolen aufzuwerten, indem man sie richtig schreibe, sei ja wohl das Dümmste, lautet der Tenor.

Vielleicht ist die Idee der FDP nicht neu und vielleicht ist sie auch nicht mehr witzig. Aber die These hinter dem Video ist nun wirklich nicht: „Wenn man sowas richtig schreibt, dann ist es okay.“ Sondern die These lautet doch wohl unzweifelhaft: „Wenig Bildung führt zu Dummheit.“

Ob man nun Rechtschreibung als Indikator für Dummheit bewerten darf – fraglich. Aber die Absicht, durch gute Bildung weniger dumme Menschen und somit auch weniger Neonazis zu erhalten, ist nicht die schlechteste. Sie ist jedenfalls besser als der Vorsatz vieler Shitstormer, die FDP durch bewusstes Missverstehen zu diskreditieren. Beide Seiten verlieren bei dieser Auseinandersetzung an Kredit. Und übrigens wird auch die Orthographie selbst abgewertet: In der Kritik wird sie zu einer völlig unwichtigen Sache herabgewürdigt. Das war bei „Don Camillo und Peppone“ und „Leben des Brian“ noch ganz anders. Seinerzeit galt sie als durchaus taugliches Mittel, um unausgegorene Gedanken auf einfachster Ebene zu entlarven.

Welche Wörter liegen bei Politikern im Trend?

Welche Wörter fallen in Bundestagsreden erst seit kurzem – und über welche Themen spricht man gar nicht mehr? Mit einem tollen neuen Tool kann man das ganz einfach selbst checken.

Von Hannah Molderings

Die „Zeit“ hat alle Protokolle der Bundestags-Plenarsitzungen der letzten 70 Jahre aus einer Datenbank durchsuchbar gemacht. Mit einem extrem einfach zu bedienenden grafischen Online-Tool (ohne Download) kann man nun in allen Wörtern suchen, die jemals in einer Bundestagsrede gefallen sind. Für jedes Jahr kann man in einer Kurve sehen, wie oft dieses Wort in den Reden der Abgeordneten vorkam. Es lassen sich bis zu fünf Wörter gleichzeitig suchen – in verschiedenfarbigen Kurven kann man die Häufigkeiten dann sofort miteinander vergleichen.

Wir haben das Ganze an einem Beispiel getestet:

Hier sieht man die Kurve zum Wort „zeitnah“. Insgesamt wurde dieses Wort in all den Jahren 1.257 Mal gesagt – in den letzten 10 Jahren deutlich häufiger als früher. Seinen Höhepunkt erreichte diese Floskel im letzten Jahr, mit 102 Erwähnungen.

Uns hat aber auch interessiert, wann solch ein diskriminierender Begriff wie „Neger“ zuletzt im Bundestag benutzt wurde:

Auf den ersten Blick meint man: 1953 war dieses Wort noch verbreitet. Da täuscht die Grafik allerdings, denn sie zeigt die relative Häufigkeit an: Auch im Jahr 1953 wurde das Wort nur 3 Mal erwähnt, in all den 70 Jahren waren es insgesamt 29 Erwähnungen. Außerdem gibt diese Zahl natürlich noch keine Auskunft darüber, in welchem Kontext ein Begriff verwendet wurde. Und von wem ein Begriff gesagt wurde, geht aus den Zahlen auch nicht hervor.

Wer es selbst einmal ausprobieren möchte: Darüber spricht der Bundestag

Neben dem Tool selbst findet man hier noch viele weitere Erklärungen und interessante Beispiele.