Schlagwort: Passiv

Passiv-aggressive Sprache: Entwickeln sich neue Codes?

In Homeoffice-Zeiten läuft viel mehr Kommunikation über E-Mails. Einer neuen Studie zufolge führen Mails jedoch sehr oft zu Missverständnissen. Eines der häufigsten Probleme: passiv-aggressives Verhalten. Wir erklären an Beispielen, was es damit auf sich hat.

Von Hannah Molderings

Seinen Ursprung hat der Begriff „passiv-aggressiv“ in der Psychologie. Der US-amerikanische Militärpsychiater William Menninger beobachtete erstmals bei Soldaten im Zweiten Weltkrieg ein ungewöhnlich pubertäres Verhalten. Die Soldaten leisteten passiven Widerstand gegen Befehle, indem sie sarkastisch reagierten oder so taten, als hätten sie die Anweisungen nicht verstanden.

Passiv-aggressives Verhalten äußert sich vor allem dadurch, dass Betroffene ihren Ärger zwar nicht offen ausdrücken, ihn dem Gegenüber aber deutlich zu spüren geben. Was dieses Verhalten mit Sprache zu tun hat? In den allermeisten Fällen lässt es sich durch bestimmte Formulierungen oder Untertöne enttarnen. Hier ein paar Beispiele:

„Wie du meinst, mir egal.“

„Hatten wir das vereinbart?“

„Das war doch gar nicht so gemeint!“

In der digitalen Kommunikation hingegen schleichen sich solche Formulierungen eher in folgender Form ein (und führen dabei oft zu ungewollt schlechter Chemie):

„Ich bin nicht sicher, ob Sie meine letzte E-Mail erhalten haben.“
Übersetzt: „Warum antworten Sie mir nicht mal langsam?“

„Nur um sicher zu gehen, dass wir auf dem gleichen Stand sind …“
Übersetzt: „Ich kenne die richtige Antwort ja schon lange …“

„Ich hänge es zur Sicherheit nochmals an.“
Übersetzt: „Ich schicke die Datei jetzt zum dritten Mal mit, haben Sie es endlich kapiert?“

„Wie bereits besprochen …“ oder „Um mich in Ihrem Postfach noch mal weiter oben in Erinnerung zu bringen …“
Übersetzt: „Ich hatte Sie ja jetzt schon einige Male daran erinnert …“

Haben Sie diese Formulierungen selbst auch schon gelesen oder geschrieben? Wir schon! Gerade die Floskeln im letzten Beispiel könnten genauso gut unverfängliche Einstiege in eine Nachricht sein. Gehen Sie also deshalb nicht sofort auf Angriff, wenn Ihnen jemand so etwas schreibt. Wir glauben: Wenn die Kommunikation sonst immer freundlich-kollegial abläuft, sprechen solche Formulierungen nicht für ein passiv-aggressives Gegenüber.

Was in Zukunft allerdings problematisch werden könnte: Ein Teil der Leute versteht die Formulierung tatsächlich als unverfängliche Floskel, der andere aber fühlt sich passiv-aggressiv angegangen.

Womöglich verselbstständigen sich sogar passiv-aggressive Formulierungen künftig immer mehr und mutieren zu einer Art Code-Sprache. „Wie bereits besprochen“ könnte dann genauso verbrannt sein wie das altbekannte „Er war stets bemüht“ …

Fußballberichte: Wer schreibt den einfachsten Stiefel?

Mithilfe einer Software der Uni Regensburg haben wir Spielberichte des 14. Bundesliga-Spieltags ausgewertet. Dabei stand auch die Prüfung eines alten Vorurteils an: Pflegt die BILD wirklich einen einfacheren Stil als andere Zeitungen?

Ja, die Fußball-Spielberichte der BILD sind tatsächlich erheblich einfacher zu verstehen als die in FAZ, Süddeutscher Zeitung, im Kicker und auf Sportschau.de. Das hat unsere Textanalyse nach dem 14. Spieltag der laufenden Bundesliga-Saison recht eindeutig gezeigt. Während die Berichte der BILD von der Software schon für Sechstklässler als geeignet klassifiziert werden, sollte man für Berichte aus dem Sportmagazin Kicker mindestens neun Schuljahre absolviert haben. Das haben wir mit einer Spezialsoftware der Universität Regensburg herausgefunden, in die wir 45 Spielberichte von fünf Medien eingespeist haben.

Die Texte der BILD ragen dabei aus dem Feld der übrigen Berichte stark heraus. Sind zum Beispiel die Sätze der BILD-Berichte im Durchschnitt 14,2 Wörter lang, kommen die Sätze der Konkurrenz auf 16,5 bis 20 Wörter. Auch die Wörter selbst sind bei der BILD signifikant kürzer. Ein weiterer Faktor ist die Anzahl der Sätze mit Nebensatz. Bei der BILD liegt er bei 41 Prozent, im Kicker bei 62 Prozent. Auch Passiv-Konstruktionen verlangsamen das Lesen und machen Texte schwerer verständlich. Hier liegt wiederum der Kicker mit fast 10 Prozent an letzter Position, während die BILD nur auf knapp über 5 Prozent kommt.

Allerdings sind selbst die Kicker-Texte vergleichsweise leicht verständlich: Sie liegen ungefähr auf dem Niveau der letzten Neujahrsansprache der Bundeskanzlerin. Ganz anders sieht es bei der Coronaschutzverordnung aus: Deren Text sprengte das Ampelsystem der Software: Verständlich wäre er allenfalls für Schüler der Jahrgangsstufe 16!

Übrigens: Die längsten Spielberichte findet man bei FAZ und Kicker. Dort sind die Texte mit etwas über 500 Wörtern am ausführlichsten. Die Lesedauer für diese Textlänge liegt für einen Neuntklässler bei rund drei Minuten. Die Spielberichte der BILD dagegen sind mit knapp über 300 Wörtern deutlich kürzer, die Lektüre ist in zwei Minuten geschafft. Dafür enthält der Text natürlich auch weniger Informationen – was die Software jedoch nicht bewertet.

Das von uns verwendete Regensburger Analysetool für Texte (kurz: RATTE) misst mehrere linguistische Faktoren der Textverständlichkeit. Die Angemessenheit des Stils oder journalistische Kriterien können mit der Software natürlich nicht beurteilt werden. Für eine solch differenziertere Analyse haben wir ein eigenes System entwickelt, das zum Beispiel auch typografische Faktoren, die Gliederung eines Textes oder seine inhaltliche und politische Korrektheit berücksichtigt.