Eine Kurzgeschichte in sechs Wörtern, geht das?

Babyschühchen auf rosa HintergrundAngeblich ist es eine Shortstory von Ernest Hemingway. Millionen von Menschen kennen sie auswendig. Kein Wunder: Sie hat ja auch nur sechs Wörter. Aber: Die Geschichte wird dem falschen Autor zugeschrieben …

Dutzende von Filmemachern haben die berühmte Geschichte aufgegriffen, man kann sie sich bei YouTube in diversen Varianten ansehen. Im Abspann steht oft: „Based on a short novel by Ernest Hemingway”. Das ist allerdings Quatsch, selbst wenn es in der deutschen Wikipedia ebenso steht wie auf unzähligen anderen Seiten.

Die Legende will es wie folgt: Ernest Hemingway habe mit anderen Schriftstellern zu Mittag gegessen und dabei behauptet, er könne eine Kurzgeschichte schreiben, die nur sechs Worte umfasse. Als die Kollegen dies bezweifelten, habe Hemingway um jeweils zehn Dollar gewettet, dass er sie überzeugen könne. Als die Einsätze standen, habe er sechs Wörter auf eine Serviette geschrieben und sie den Kollegen gereicht:

For sale: baby shoes, never worn.

Natürlich ist diese Anekdote stark, anrührend sogar. Eben deshalb hat sie sich ja auch so weit verbreitet. Unter dem gleichnamigen Titel wurde inzwischen alles Mögliche veröffentlicht: Filme, Lieder, Kurzgeschichtensammlungen und so fort. Auf unterschiedlichem Niveau. Aber schon vor Jahren haben amerikanische Journalisten erfolgreich widerlegt, dass die Geschichte von Hemingway stammt: Der Plot, der Titel (und somit fast die ganze Story) waren jedenfalls schon 1917 in einer Publikation für Literaturschaffende erwähnt worden, von einem Herrn namens William R. Kane. 1917 war Ernest Hemingway übrigens erst 18 Jahre alt.

Wegen der erwähnten Legende gilt Hemingway ganz nebenbei auch als Gründer der sogenannten „Flash Fiction“, einer besonders kurzen Spielart der Kurzgeschichte. Meist geht es dabei aber nicht darum, in 140 Zeichen beziehungsweise Twitter-Länge eine bemerkenswerte Story zu erzählen. Sondern man muss unter 1.000 oder vielleicht auch mal 2.000 Zeichen bleiben. Zum Vergleich: Kafkas „Der Steuermann“ zum Beispiel hat 1.200 Zeichen und müsste demzufolge auch als „Flash Fiction“ gelten.

Sehr viel Aufmerksamkeit erzielte vor einigen Jahren der Werbefilmregisseur Florian Meimberg mit seinen „Tiny Tales“, die maximal 140 Zeichen hatten und mit maximal drei Sätzen auskamen. Einige davon kann man sich im Buch-Trailer auf YouTube vorlesen lassen oder inzwischen sogar als Filmchen angucken. Ein paar sehenswerte davon zeigen wir hier in dreieinhalb Minuten – samt Text im Untertitel:

https://www.youtube.com/watch?v=1D17c12_LlI

Auch sehr spannend ist ein Projekt des „New Yorker“ aus dem letzten Jahr: Hier haben sich die Autoren etwas mehr Platz genommen und zum Teil wirklich originelle Geschichten geschrieben:

„A series of very short stories for the summer“