Es ist paradox: Broschüren werden professionell und aufwendig gestaltet, wenn sie sich an die Allgemeinheit wenden. Wenden Sie sich aber in Leichter Sprache an Menschen mit geringerer Lesekompetenz, sehen alle Texte gleich aus. Zwei engagierte Frauen setzen sich nun dafür ein, dass die Leichte Sprache besser gestaltet wird.
Von Stefan Brunn
Einfachheit gehört zu den wichtigsten Prinzipien, wenn man anderen etwas leicht verständlich erklären möchte. Das gilt für die Wortwahl, das gilt für den Satzbau, das gilt auch für die Typografie. Teil der Typografie ist aber auch, dass nicht alles gleich aussehen darf: Indem wir typografische (oder auch layouterische, also „makrotypografische“) Signale erhalten, wird uns das Verstehen erleichtert. Solche Signale nutzen das Vorwissen des Empfängers oder der Empfängerin: „Aha, da ist ein einzelner Satz irgendwie hervorgehoben, das scheint ein besonderer Hinweis zu sein!“ Und genau dieses Vorwissen nutzen gute DesignerInnen gern aus, um leicht und schnell Orientierung in den Informationen zu schaffen.
In der Leichten Sprache jedoch sehen alle Texte gleich aus (in den beiden hier abgebildeten Broschüren der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung wird der Unterschied sehr deutlich). Diese Art der extrem einfachen Gestaltung ist aber keineswegs zweckdienlich, kritisiert die Münchner Gestalterin Sabina Sieghart. Gerade die Zielgruppe der Leichten Sprache brauche eine attraktive, zum Lesen einladende Gestaltung. „Wieso werden in der Praxis nicht sämtliche Erkenntnisse zur typografischen Gestaltung genutzt?“, fragt sie in einem kritischen Statement unter dem Titel „Leichte Sprache – Design für alle“.
Im gleichen Papier resümiert sie den bisherigen wissenschaftlichen Diskurs zur Leichten Sprache mit dem traurigen Ergebnis: „Die visuelle Übersetzung, also Typografie und Design, wird schlichtweg nicht berücksichtigt.“ Es gebe durchaus linguistische und sozialwissenschaftliche und auch IT-Forschungsprojekte, jedoch kein Forschungsprojekt im Bereich des Designs. Das zu ändern, haben sich Sieghart und die Germanistik-Professorin Bettina M. Bock inzwischen allerdings aufgemacht (siehe Video unten).
Im Regelwerk zur Leichten Sprache des Bundessozialministeriums würden weder Mikro- noch Makrotypografie überhaupt erwähnt, moniert Sieghart. Als mögliche Gründe für die Abwesenheit des Designs in der Leichten Sprache kann sie sich mehrere vorstellen: „Offenbar geht die ,Leichte Sprache‘-Praxis also davon aus, dass die Adressatenkreise diese grafischen Informationen im Textverstehensprozess nicht brauchen oder nicht nutzen können.“ Es könne aber auch sein, dass einfach noch gar nicht bedacht wurde, dass die grafische Gestaltung für das Gesamtverständnis eine zentrale Rolle spielt. Und noch ein dritter Grund kommt für Sieghart in Betracht, ein sehr banaler: Praktiker hätten ihr nämlich von geringen Budgets für die unangenehme Pflichtaufgabe der Leichten Sprache berichtet.
Weitere Infos: gestaltungsinstitut.de
Die Designerin Sabina Sieghart schildert in diesem Video zusammen mit der Germanistin Bettina M. Bock, Juniorprofessorin an der Universität zu Köln, ihre Sicht auf die Mängel der derzeitigen Leichte-Sprache-Praxis.