Was ist aus juristischer Sicht lesbar und was nicht?

„Wenn Ihre Werbung ein weiteres Mal eine zu kleine Schrift verwendet, setzt es ein Ordnungsgeld bis zu 250.000 Euro, ersatzweise Ordnungshaft bis zu 6 Monaten!“ So las sich jüngst ein Urteil eines Landgerichts gegenüber einem Einzelhändler. Aber was heißt eigentlich „kleine Schrift“ in Punkt oder Millimetern?

Von Stefan Brunn

Die schlechte Nachricht zuerst: Weder ist die Frage zulässiger Schriftgrößen gesetzlich geregelt noch setzen die obersten Gerichte Deutschlands eine einheitliche Mindestgröße voraus. Was also als Kleingedrucktes zu klein gedruckt ist, interpretieren die Gerichte unterschiedlich.

Die gute Nachricht lautet: Wer einen Text in mehr als 8 Punkt (also über 3 Millimeter hohe Buchstaben) druckt, ist im Regelfall auf der sicheren Seite. Das gilt zum Beispiel für Produktverpackungen, Zeitungsanzeigen oder Flyer. Das gilt natürlich nicht für Plakatwände – hier wären ja 8 Punkt aus der normalen Lesedistanz überhaupt nicht wahrnehmbar.

Bei dem eingangs erwähnten Urteil des Landgerichts Coburg ging es um die Werbung für einen drahtlosen Bluetooth-Lautsprecher, genauer: die Darstellung eines Testurteils in der Zeitschrift „Video“. Die Quelle „Video“ unter der Testnote („überragend“) erschien einem Wettbewerber zu klein angebracht, so dass er auf Unterlassung klagte – und gewann. Das Gericht setzte in seiner Begründung die Untergrenze von 6 Punkt an. Diese Grenze findet sich im letzten Jahrzehnt in mehr und mehr Urteilen wieder, begleitet von Faktoren wie Kontrast oder „üblicher Laufweise“ (Bundesgerichtshof).

Wirklich konkrete und verbindliche Punkt- oder Millimeterangaben findet man nur in so exotischen Normen wie der Fertigverpackungsverordnung der EU oder etwa in Urteilen des Bundesgerichtshofs zum Heilmittelwerberecht. Einzelne Verpackungsverordnungen wiederum unterscheiden sich aber auch wieder voneinander: Zwischen einer Schriftgröße von zwei (EU-Fertigpackungsverordnung) und einer von vier Millimetern (vorgeschriebene Schriftgröße der Füllmenge im Honigtopf!) liegt ja eine ganze Zeile!

Auch Gerichte selbst berücksichtigen übrigens Argumente nur, wenn sie groß genug geschrieben sind. Das ist kein Witz: Das Bundessozialgericht wies schon eine Anhörungsrüge als unzulässig zurück, weil die vorgebrachten Argumente eines Beteiligten in praktisch nicht mehr zu entziffernder Schriftgröße formatiert waren (B 13 R 17/15 C). Die Richter empfanden das offenbar als Manipulationsversuch oder Schikane. Vielleicht war es ihnen auch einfach zu blöd, sich durch so kleine Texte zu quälen.