Ein französischsprachiges Kind liest mit neun Jahren immer noch schlechter als ein siebenjähriges deutschsprachiges Kind. Experten erklären das mit der „Transparenz der Sprache“: Die Umwandlung von Buchstaben in Laute ist im Deutschen viel regelmäßiger. Eine Europakarte zeigt große Unterschiede.
Von Stefan Brunn
Deutsche Sprache, schwere Sprache: Das stimmt so pauschal nicht und beim Lesenlernen schon gar nicht. Verglichen mit anderen Sprachen ist Deutsch nämlich eine sehr regelmäßige Sprache. „Leseanfänger können schon nach wenigen Monaten nahezu jedes Wort lesen, da es praktisch keine unregelmäßigen Lautformungen gibt“, erklärt die Kommunikationsdesignerin Antonia M. Cornelius. Sie veranschaulicht in ihrem Buch „Buchstaben im Kopf“ die Lese-Fehlerquote der Kinder nach den ersten beiden Schuljahren in einer Grafik, die wir hier mit freundlicher Genehmigung der Autorin abbilden.
In dem Schaubild liegt Englisch mit weitem Abstand vor allen anderen Sprachen – die Kinder dort machen also beim Lesen anfänglich viel mehr Fehler als Kinder zum Beispiel in Finnland, das mit 2 Prozent die niedrigste Quote hat. Mit vier Wortpaaren verdeutlicht Cornelius in ihrem Buch, wo im Englischen konkret die Probleme liegen:
HAS – WAS
TOUGH – DOUGH
FLOUR – TOUR
HEADER – READER
Wenn Sie diese Wörter einmal selbst sprechen, fällt Ihnen auf, dass sie zwar gleich geschrieben, aber völlig anders ausgesprochen werden.
Cornelius weist darauf hin, dass beispielsweise chinesische Kinder es noch schwerer haben: Das Mandarin habe nur etwa 1.300 verschiedene Silben, aber insgesamt 87.000 Schriftzeichen (von denen man im Alltag 3.000 bis 5.000 beherrschen müsse). Insofern werde jede Silbe auf viele sehr verschiedene Begriffe verwendet.
Cornelius‘ Buch „Buchstaben im Kopf“ versammelt auf 180 Seiten sehr viele lesenswerte Informationen über das Lesen und die dafür beste Schriftgestaltung. Im Untertitel heißt das Buch „Was Kreative über das Lesen wissen sollten, um Leselust zu gestalten“. Unter anderem räumt Cornelius auch mit lang bestehenden populären Irrtümern auf, zum Beispiel damit, dass wir Wörter vor allem anhand ihrer Umrisse erkennen. Diese Annahme sei längst widerlegt. Der wirkliche Leseprozess sei deutlich komplexer, schreibt Cornelius: Er finde simultan auf drei Erkennungsebenen statt: der Merkmal-, Buchstaben- und Wortebene. Wie genau das geschieht, kann man in ihrem Buch nachlesen.
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