Es war das größte deutsche Wörterbuch des 18. Jahrhunderts. Veröffentlicht wurde es allerdings nie. Stattdessen schlummerte es in der Universitätsbibliothek Basel vor sich hin. Jetzt arbeitet der Sprachwissenschaftler Heinrich Löffler das Glossarium auf. Im Interview verrät er, warum.
250 Jahre lang lagen die Handschriften und Zettel ungeachtet im Keller der Universitätsbibliothek Basel. Erst jetzt arbeiten Linguisten die spannende Sammlung für die Nachwelt auf.
1740 hatte der Basler Professor Johann Jakob Spreng begonnen, ein handschriftliches Wörterbuch zu verfassen, sein „Allgemeines deutsches Glossar“. 20 Bände sind es bis zu seinem Tod geworden – übrigens vor genau 250 Jahren, mit fast 100.000 Einträgen. Gedruckt wurde es jedoch nie, weil sich nicht genug Käufer fanden.
Dabei wäre es das mit Abstand größte deutsche Wörterbuch des 18. Jahrhunderts gewesen. Erst das „Deutsche Wörterbuch“ der Brüder Jacob und Wilhelm Grimm übertraf Sprengs Glossar – das war aber erst gut 100 Jahre später, nämlich 1838.
Ausgegraben hat die Dokumente der emeritierte Sprachwissenschaftler Professor Heinrich Löffler. Er kümmert sich seit drei Jahren um die Aufbereitung und erklärt im Interview, warum das Glossarium ein großer Schatz für die deutsche Sprachwelt ist.
Herr Professor Löffler, was erhoffen Sie sich davon, das Glossarium aufzubereiten?
Mit seinen knapp hunderttausend Stichwörtern wäre das Glossarium damals das mit Abstand größte deutsche Wörterbuch gewesen – wenn es denn gedruckt worden wäre. Heute ist es für den Kenner ein „historisches Dokument“, das das Sprachwissen und auch Weltwissen der Zeit um 1750 widerspiegelt: Das ist 30 Jahre vor der französischen Revolution.
Die Lexikographen (also die Wörterbuchschreiber) und die Lexikologen (die Wörterbuchforscher) bekommen einen einmaligen Einblick in die Arbeitsweise eines damaligen Wörterbuchmachers: In den 20 gebundenen Bänden sind zirka 60.000 Zettel eingeklebt – auf Lücke, damit man jederzeit nachträglich neue Zettel dazukleben konnte.
In einer Schachtel befanden sich noch zirka 30.000 lose Zettel – allerdings schön sortiert und in kleine Tütchen abgefüllt. Die mussten auch alle erst einmal geschrieben werden. Man kann dem lieben Spreng praktisch zuschauen, wie er mit Federkiel erst aus Büchern alles auf eine Liste abgeschrieben hat, dann diese Notizen auf lange Papierstreifen übertragen und diese wohl mit einer Schere zu schmalen Zetteln geschnitten hat. Die Zettel sind alle 8 Zentimeter breit – haben aber eine Länge von 2 Zentimeter bis fast einen Meter.
Was gefällt Ihnen persönlich am Glossarium?
Sprengs Glossar ist weniger ein Buch zum Nachschlagen, sondern eher eines zum Lesen. Es wimmelt von Geschichtchen und Beschreibungen, Maschinen, Geräten, Koch- und Backrezepten …
So beschreibt er eine veraltete Tötungsmaschine, die aber genau der Guillotine entspricht, die bei der Französischen Revolution dann 35 Jahre später als neue Erfindung eingesetzt wurde.
Schön zu lesen sind auch Redensarten oder lustige Ausdrücke: schwäbische Galeen, [Galeere] wird scherzweise der Esel genennet, weil er ein vornemes Fahrzeug in Schwaben ist.
Können Sie ein konkretes Beispiel geben, wie und bei welchen Wörtern man heute von dem Glossarium profitieren kann?
Spreng hat viele Wörter mit einem Stern (*) versehen: Von diesen hoffte oder wünschte er, dass sie in der neuen deutschen Schriftsprache gepflegt werden sollten. Es ist auch für heutige Benutzer leicht festzustellen, welche Wörter es geschafft haben und welche nicht … Das heißt, welche unserer heutigen Wörter schon sehr alt sind – oder vor 250 Jahren noch sehr jung.
Was ist so ein Sternchen-Wort?
Das sind Wörter, die damals noch wenig eingeführt und deshalb zur Nachahmung empfohlen wurden – oder die schon alt waren, und aus diesem Grund zur Beibehaltung empfohlen wurden. Heute nutzen wir zum Beispiel noch die Wörter „hissen“, „Hagelschlag“ oder „Hochgebirge“. Oder auch „zubilligen“ oder „zuerkennen“, die Worte waren damals ganz neu. Das Wort „Swip“ zum Beispiel hat es nicht geschafft, in den Sprachgebrauch übernommen zu werden, auch wenn Spreng sehr dafür plädierte. Es gibt keinen äquivalenten deutschen Begriff dafür, man ist noch immer auf das lateinische „Genius“ angewiesen, um es zu übersetzen.
Was kann man sonst noch aus dem Glossarium lernen?
Man lernt, dass das 18. Jahrhundert ein modernes Jahrhundert war. Die Bergbauindustrie war fortgeschritten, ebenso die Verhüttungsindustrie. Carl von Linné hatte alle Pflanzen und Tiere sortiert und beschrieben. Die Medizin hatte die menschliche Anatomie bis ins Einzelne zerlegt und mit Namen versehen. Das alles hat Spreng im Wörterbuch berücksichtigt.
Manche heutigen Wörter macht er mit seinen Beispielen „durchsichtig“: Wer denkt daran, dass eine „Kapriole“ eigentlich ein „Ziegensprung“ ist (lat/ital. cpra: die Ziege)?
Wer könnte eine mögliche Zielgruppe des Glossars sein?
Spreng nennt in der Einladung zur Bestellung des Wörterbuches seine Zielgruppe „nicht nur Sprachforscher, sondern überhaupt auch allerlei Gelehrte, Standespersonen, Kanzleibeamte, und Libehaber schöner Wissenschaften.“ Das würde auch heute noch gelten. Also kein „Schülerduden“. Aber für alle, die sich für Sprache interessieren.
Wo und in welcher Form wird es zugänglich gemacht, sobald die Arbeiten abgeschlossen sind?
In Kürze wird ein „Musterband“ mit dem Buchstaben „H“ zusammen mit den digitalisierten handgeschriebenen Vorlagen ins Internet gestellt unter https://www.e-manuscripta.ch; Stichwort „Spreng“.
Die bisher transkribierten 17 Bände werden Zug um Zug internetfähig gemacht – und nach und nach dort eingestellt. Wenn in zirka zwei bis drei Jahren alle Bände abgeschrieben sein werden, soll es auch noch eine Papierversion geben: zirka 5 Bände von zusammen zirka 4.500 Druckseiten.