Neue Studie weckt Zweifel am Zweifel

Sind selbstbewusste Experten überzeugender als zweifelnde? Die Intuition sagt ja. Doch vor 15 Jahren zeigte eine vielbeachtete Studie: Etwas Unsicherheit steigert die Glaubwürdigkeit eher. Eine neue Studie zweifelt aber wiederum an dieser These …

Von Katrin Liffers

Stellen Sie sich vor, Sie sitzen in einem Restaurant und studieren die Speisekarte. Am Nebentisch sitzt zufällig ein bekannter Restaurantkritiker. Sie sind neugierig und fragen ihn nach seiner Einschätzung. Was würde Sie mehr überzeugen – wenn er mit absoluter Gewissheit „Das Rinderfilet hier ist definitiv erstklassig!“ sagt oder wenn er nachdenklich meint: „Ich war erst einmal hier, aber ich glaube, das Rinderfilet ist wirklich gut“?

Vermutlich vertrauen wir doch Menschen mehr, die sich ihrer Sache sicher sind! Wer glaubt schon einem zaudernden Ratgeber? Doch die Forschung hat diese intuitive Vermutung vor 15 Jahren widerlegt: 2010 stellten zwei Forscher diese Annahme auf den Kopf. Die These von Uma Karmarkar und Zakary Tormala (University of California) lautete damals: Gerade bei Experten wirkt ein Quäntchen Unsicherheit überzeugender.

Die Kraft der Unsicherheit

Doch stimmte wiederum diese These? Ein anderes Forscherteam um Erik Løhre von der BI Norwegian Business School wollte es zusammen mit Kolleg*innen der Singapore Management University und der University of Massachusetts im vergangenen Jahr genau wissen. Ihre kürzlich im „Journal of Experimental Social Psychology“ veröffentlichte Studie zeigt: Die „Kraft der Unsicherheit“ lässt sich nicht bestätigen. Im Gegenteil: Sowohl bei Experten als auch bei Laien waren selbstbewusste Aussagen überzeugender als zweifelnde.

Wie lässt sich dieser Widerspruch erklären? Die Forschenden vermuten, dass sich seit 2010 einiges verändert hat. In Zeiten von sozialen Medien und vielen Fake News seien wir skeptischer gegenüber Unsicherheit geworden. Wenn selbst Experten zweifeln: Wem können wir dann noch vertrauen?

Interessanterweise spielte auch die Persönlichkeit derer, die zuhörten, kaum eine Rolle. Die Forschenden vermuteten ursprünglich, dass Menschen mit einem hohen Bedürfnis nach klaren Antworten besonders allergisch auf Unsicherheit reagieren würden. Doch diese These bestätigte sich nicht.

Zweifel sind oft richtig und wichtig

Sollen Experten also nie mehr Zweifel äußern? So einfach ist es nun auch nicht. Die Studie zeigt zwar, dass selbstbewusstes Auftreten generell überzeugender wirkt. Aber es gibt Situationen, in denen ehrlich kommunizierte Unsicherheit wichtig und richtig ist – wenn etwa die Datenlage unklar ist oder verschiedene Interpretationen möglich sind.

Entscheidend ist der Kontext: Geht es um eine simple Restaurant-Empfehlung, mögen wir klare Ansagen bevorzugen. Bei komplexeren Themen wie Klimawandel oder Pandemie-Maßnahmen kann ein offener Umgang mit Unsicherheiten durchaus Vertrauen schaffen.

Die Studie regt auch zum Nachdenken an: Sicherlich liegt die Kunst der Expertise nicht darin, entweder immer selbstbewusst oder immer zweifelnd aufzutreten. Sondern darin, situationsangemessen zu kommunizieren – mal mit klarer Kante, mal mit nachdenklicher Differenzierung.

Eines jedenfalls zeigt die Forschung deutlich: Selbst simple Annahmen halten einer genauen Überprüfung nicht immer oder auf Dauer stand. Und das ist vielleicht die wichtigste Erkenntnis: Auch in der Wissenschaft braucht es den Mut, liebgewonnene Theorien kritisch zu hinterfragen. Es lebe der Zweifel!


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