Hätte, hätte, Fahrradkette …

Was täten wir nur ohne den Konjunktiv! Gäbe es ihn nicht, wüssten wir oft nicht, wer genau etwas gesagt hat. Denn der Konjunktiv zeigt ja, wann jemand die Meinung eines Dritten wiedergibt – oder, im Konjunktiv ausgedrückt: Das sollte er zumindest.

Von Andrea Rayers

Wenn Konjunktiv I und Konjunktiv II falsch verwendet werden, verliert man schnell den Überblick, um wessen Meinung es sich eigentlich handelt. So etwa in einer kürzlich erschienenen Passage im „Morning Briefing“ des Journalisten Gabor Steingart:

Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble hat sich auf Friedrich Merz festgelegt. „Es wäre das Beste für das Land, wenn er eine Mehrheit auf dem Parteitag erhielte“, sagte Schäuble der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“. Eine Wahl von Merz würde das politische System stabilisieren und die politischen Ränder wieder schwächen.

Analysieren wir es doch mal: Der Autor zitiert zunächst Wolfgang Schäuble in direkter Rede. Dieser wiederum formuliert seine Gedanken in einer Konjunktiv-II-Konstruktion – die ja aussagt: Hier handelt es sich um einen Wunsch, um eine Hoffnung, die vielleicht sogar irreal ist. So weit, so korrekt.

Der Knackpunkt liegt im nächsten Satz: Eine Wahl von Merz würde das politische System stabilisieren und die politischen Ränder wieder schwächen. Möchte der Autor hier die Aussagen Schäubles in indirekter Rede fortführen? Oder handelt es sich gar um Steingarts eigene Gedanken, die er hier preisgibt? Das ist hier alles andere als klar!

Schuld daran ist der Konjunktiv – beziehungsweise der Autor, der den Konjunktiv irreführend eingesetzt hat. Denn sowohl Konjunktiv I als auch Konjunktiv II haben ihre ganz eigenen Aufgabengebiete:

Konjunktiv I:

• Er wird verwendet, wenn etwas in indirekter Rede wiedergegeben wird.
• Die Bildung ist recht simpel. Er leitet sich von der Infinitiv-Form ab: stabilisieren – er stabilisiere.

Konjunktiv II:

• Er wird verwendet, um einen (irrealen) Wunsch zu kennzeichnen, bei höflichen Fragen oder Aufforderungen oder bei Zweifeln am Gesagten.
• Gebildet wird er, indem man sich die Präteritum-Form des Verbs anschaut und davon ableitet: hatte – er hätte.
• Der Konjunktiv II lässt sich auch mit einem „würde“-Satz umschreiben. Diese Form gehört zwar eher zur gesprochenen Umgangssprache, ist aber auch im Schriftlichen nicht verboten:

– Als Ersatzform, wenn der Konjunktiv I nicht vom Indikativ zu unterscheiden ist (wir haben – wir haben). Das trifft in unserem Beispiel allerdings nicht zu.
– Als Ersatzform, wenn der Konjunktiv II und der Indikativ im Präteritum nicht zu unterscheiden sind – wie in unserem Beispiel: stabilisierte, schwächte.
– Wenn die Verben im Konjunktiv II ungebräuchlich und allzu verstaubt klingen, wie zum Beispiel: klänge, löge, schmölze, vergösse, führe, wüsche …

Angenommen, der Autor wollte lediglich wiedergeben, was Wolfgang Schäuble gesagt hat. Dann müssten also sämtliche Verben im Konjunktiv I stehen, und der Satz würde lauten: Eine Wahl von Merz stabilisiere das politische System und schwäche die politischen Ränder wieder.

Unser Beispiel-Satz steht aber nun mal im Konjunktiv II – und lässt deshalb rein grammatikalisch vermuten, dass es sich nicht um indirekte Rede, sondern um eine Aussage des Autors handelt. Noch dazu ist es eben gar kein reiner Konjunktiv II, sondern eine Umschreibung mit „würde“. Wir vermuten also, dass hier Gabor Steingart selbst bewertet – oder?

Der Konjunktiv ist und bleibt ein Sorgenkind der deutschen Sprache: ungeliebt, gern umgangen, teils mit Verbformen aus der Mottenkiste. Richtig angewendet zeigt er uns aber genau an, ob eine Aussage die eigene Meinung wiedergibt, aus der Feder eines Dritten stammt oder nur ein Wunschtraum ist: Ach, wäre es doch immer so eindeutig!