Gänsefüßchen sind keine Entschuldigungszeichen!

In vielen Stilistik-Ratgebern findet sich sinngemäß folgender Hinweis: „Distanzieren Sie sich nicht von Ihrer eigenen Wortwahl, indem Sie Wörter in Anführungszeichen setzen!“ Das entspricht natürlich NICHT einem Verbot von Gänsefüßchen – im Gegenteil, die sind manchmal sehr wichtig.

Von Stefan Brunn

Fall 1: Hier sollten keine Anführungszeichen gesetzt werden:
Werner hat schon wieder „vergessen“, den Müll herauszubringen!

Tja, was soll dem Leser hier mit den Anführungszeichen nahegelegt werden? Zitiert der Autor Werners wörtliche Erklärung? Ironisiert der Autor Werners Entschuldigung? Oder fiel dem Autor einfach nur kein passenderes Wort ein? Der Leser wird hier im Unklaren gelassen. Wer sich verständlich ausdrücken will (das will natürlich nicht jeder), sollte sich nicht von der eigenen Wortwahl distanzieren, sondern sich für einen Ausdruck entscheiden und keine Tüttelchen setzen. So steht es übrigens auch im Handbuch „Korrekt und stilsicher schreiben“ des Duden, mit folgendem Negativ-Beispiel: „Ich danke Ihnen für Ihre ,höflichen‘ Worte.“ So nicht!

Fall 2: Hier können Anführungszeichen gesetzt werden, um Begriffe zu hinterfragen:
„Islamischer Staat“

Manchmal können Anführungszeichen durchaus gesetzt werden, um sich von etwas zu distanzieren. So schrieb etwa die Welt die „DDR“ lange in Anführungszeichen. Der Grund: Für den Axel-Springer-Verlag war die DDR nicht demokratisch. Im August 1989, also kurz vor dem Mauerfall, verzichtete die Welt dann erstmals auf die Anführungszeichen. Prompt waren die Leser irritiert und fragten nach, was es damit auf sich hat. Der damalige Chefredakteur Manfred Schell erklärte es so: „Wir verzichten, was die Schreibweise der DDR betrifft, jetzt auf Symbolik, die uns als formaler Vorwand gegen unser Bemühen, auch die Menschen im Osten zu erreichen und ihnen unseren Standpunkt zu Freiheit und Selbstbestimmung zu vermitteln, entgegengehalten werden konnte.“

Vielleicht wird Ihnen in unserem letzten ZEILEN|HACKER aufgefallen sein, dass auch unser Kollege Mathias Wolff dafür plädiert, sich mit Anführungszeichen von bestimmten Kriegsbegriffen zu distanzieren. Er fordert zum Beispiel, „IS“ nur in Anführungszeichen zu schreiben, noch besser: „der selbst ernannte Islamische Staat“. So mache man klar, dass der Islamische Staat kein islamischer Staat ist, sondern dass es sich dabei um eine Terror-Organisation handelt.

Fall 3: Hier sind Anführungszeichen sinnvoll oder müssen sogar gesetzt werden:
Nach § 26 Abs. 2 obliegt die „Pflicht zur Pflege von Straßenbegleitgrün den Anwohnern“.

Immer dann, wenn etwas wörtlich zitiert wird oder ein Eigenname abgegrenzt werden soll vom Rest des Satzes, sind Anführungszeichen geboten. Das obige Beispiel aus dem genannten Duden-Handbuch zeigt ganz gut, wie wichtig der Einsatz der Gänsefüßchen ist: Sie zeigen nämlich genau, wo das Zitat beginnt und wo es aufhört. Manchmal wird dafür auch Kursivsatz benutzt. Kursivsatz wird aber deutlich schwächer wahrgenommen als Gänsefüßchen – und oft geht er verloren, wenn Texte ausgetauscht werden. Wem seine Gänsefüßchen wichtig sind, sollte sie also nicht gegen Kursivsatz eintauschen.