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Vorfahrt fürs Präsens

Manchmal hat man die Wahl, ob man in der Gegenwarts- oder in der Vergangenheitsform schreibt. In den allermeisten Fällen lohnt es sich dann, aufs Präsens zu setzen. Das zeigen auch neue Studien aus der Psychologie. Wir machen es an drei Beispielen klar.

Von Katrin Liffers

Auf den ersten Blick scheint es simpel: Immer dann, wenn wir über die Gegenwart reden, verwenden wir das Präsens. Sprechen wir über Vergangenes, kommen Perfekt, Präteritum oder Plusquamperfekt in Frage. Wieso treffen wir dann aber immer wieder auf Fälle, in denen laut dieser Logik eine Vergangenheitsform stehen müsste, stattdessen aber das Präsens gewählt wird?

Die Antwort: Egal, ob bewusst oder unbewusst eingesetzt, die Wahl der Zeitform beeinflusst die Wahrnehmung des Geschriebenen oder Gesagten. Wir schauen uns das an drei unterschiedlichen Textsorten an:

1. Produktrezensionen
Eine aktuelle sozialpsychologische Untersuchung, die den Einfluss von unterschiedlichen Zeitformen in Produkt-Rezensionen analysiert, kommt zu folgendem Ergebnis: Rezensionen, die im Präsens und nicht in einer Vergangenheitsform geschrieben wurden, sind verführerischer. Der Grund: Der Leser nimmt automatisch an, dass ein Gerät, „das wirklich gut funktioniert“, noch besser ist als eins, „das wirklich gut funktioniert hat“. Das Präsens suggeriert nämlich, dass der Nutzen des Produkts immer noch besteht und nicht nur auf die Vergangenheit begrenzt war.

2. Nachrichten
Nachrichten soll dem Adressaten etwas Neues und Aktuelles berichten. Durch das Präsens wird dieser Aktualitätsbezug hervorgehoben und Interesse beim Leser erweckt. Überprüfen Sie mal selbst: Welchen ersten Satz einer Nachricht motiviert Sie eher zum Weiterlesen?

Beispiel 1: Die Oliven-Bundesvorsitzende Sibille Grothejahn hat in Berlin an einer Demonstration gegen Motorradlärm teilgenommen.

Beispiel 2: Die Oliven-Bundesvorsitzende Sibille Grothejahn will gegen den zunehmenden Lärm von Motorrädern mobil machen.

Das Präsens zeigt nach vorn, das Berichtete erscheint einfach aktueller.

3. Belletristik
Lange Zeit verschmäht war das Präsens in der Belletristik. Doch das hat sich geändert. Während früher das Präteritum als prototypische Zeitform galt, gibt es mittlerweile immer mehr Romane und Krimis, die durchgehend oder in großen Teilen im Präsens verfasst sind. Der Grund: Das Präsens soll dafür sorgen, dass die Handlung näher an den Leser heran rückt, er direkt und unmittelbar das Geschehene mitbekommt und sich so sich besser in die Geschichte hineinversetzen kann. „Eines schönen Morgens im April komme ich auf einer kleinen Seitenstraße in Harajuku an dem 100%igen Mädchen vorbei.“ Dieser erste Satz einer Erzählung von Haruki Murakami ist stark. Das liegt auch daran, weil er live ist, weil er uns direkt in die Situation beamt. Das heißt natürlich nicht, dass dieser und andere Sätze nicht auch in Vergangenheitsformen funktionieren können. Aber wenn ich als Leserin wählen darf, dann nehme ich hier gern das Präsens …